Gold
in ihrer Schwangerschaft, und Kate hatte gelitten, je dicker Zoes Bauch wurde. Er selbst hatte nichts unternommen – weder als Trainer noch als Freund –, um sie an einen Tisch zu bringen. Schließlich hatte der Schaden, den das Schweigen angerichtet hatte, von selbst zur Konfrontation geführt. Er durfte sie nicht noch einmal im Stich lassen.
Er hatte seinen Kaffee ausgetrunken und bestellte noch einen. Im Café lief das Radio, Oldies aus den sechziger, siebziger und achtziger Jahren. Phil Collins sang In the air tonight .
Der Kellner brachte den Kaffee.
Tom lächelte. »Da kommen Erinnerungen hoch, was?«
Der Kellner sah ihn ausdruckslos an. »Wie bitte?«
»Phil Collins.«
»Wer ist Phil Collins?«
Tom deutet auf die Lautsprecher. »Er.«
»Ach ja. Gute Musik. Sehr schön.« Er nickte übertrieben wie ein Pantomime und nahm die leere Tasse mit.
Tom wackelte mit der Zunge an seiner Zahnprothese, und eine leichte Traurigkeit überkam ihn wie Schnee, der sich im Winter auf ein Feuer senkt. Jenseits der Bahn begegneten ihm die jungen Leute mittlerweile mit höflicher Geduld. Wenn sie ihn wie ein Relikt aus der Vergangenheit behandelten, musste er daran denken, dass man ihn irgendwann in irgendeinem Speisesaal auf einen klinisch sauberen Stuhl neben andere Angehörige seiner Generation platzieren würde. Er hörte sich schon darauf beharren, er habe einmal an den Olympischen Spielen teilgenommen, während Pflegerinnen ihm höflich zustimmten. Mir fehlte nur eine Zehntelsekunde , würde er ihnen erzählen. Ein verdammtes Zehntel.
Wie schön, Thomas, und jetzt essen Sie Ihre Suppe. Sonst sind Sie nicht in Bestform für die nächsten Olympischen Spiele.
Wenn er an Altenheime dachte, hatte er sich immer Musik von Vera Lynn und die großen Hits der Kriegszeit vorgestellt. Jetzt wurde ihm klar, dass MC Hammer, Sade und Phil Collins die nostalgische Musik beisteuern würden, wenn er einmal in der Geriatrie landete. Er sah sich in einer Gruppe anderer Achtzigjähriger in Jogginganzügen, die zu Madonnas Vogue leichtes Aerobic machten, und begriff, dass er sich vermutlich in dem Monat, in dem er seinen Trainerjob aufgab, das Leben nehmen musste. Er würde sich eine Woche geben, um seine Papiere in Ordnung zu bringen, und dann einen vernünftigen Ausweg finden. Irgendetwas mit Tabletten – etwas Undramatisches. Er würde einen kurzen Brief schreiben und die Sache so durchziehen, dass es keine Sauerei gab.
Er überlegte, an wen er den Brief richten sollte. Eine E-Mail an die Polizei sähe zu sehr nach Selbstmitleid aus – es wäre übertrieben, so zu tun, als gäbe es niemanden, der davon erfahren musste. Andererseits wäre ein Abschiedsbrief ein beschissener Weg, um wieder Kontakt zu seiner Familie aufzunehmen. Für Matthew wäre es besser, wenn er nichts mehr von ihm hörte. Auch das war unbestritten. Er hatte gewollt, dass sein Sohn Erfolg hatte, wo er selbst gescheitert war, und ihn im Training zu hart rangenommen. Eines Tages war der Junge zusammengebrochen und mit einem Fahrradschloss auf ihn losgegangen, so hatte Tom seine Schneidezähne verloren. Eine Woche später hatte ihn seine Frau verlassen und Matthew mitgenommen, Schluss, Ende, aus.
Wenn Tom an ihn dachte, blitzte Mattys Gesicht einen Moment lang vor seinem inneren Auge auf, doch dann zog er sich vor dem Schmerz zurück. Es ging schon. Die scharfen Kanten wurden mit jedem Jahr stumpfer.
Tom hörte in dem leeren Café Phil Collins und versuchte, den Text zu analysieren, als wäre der Künstler einer seiner Athleten. Jemand spürte in der Nacht etwas kommen. Phil spürte es kommen, also war es offenbar etwas Großes. Der Typ hatte sein ganzes Leben lang auf diesen Moment gewartet, also konnte es nichts sein, das jede halbe Stunde auftauchte.
Die eindringlichen Akkorde, die hallenden Drums; das Beharren, dass ein umwälzendes Ereignis unmittelbar bevorstand. Tom runzelte die Stirn, während er darüber nachdachte, welchen Rat er Phil geben würde. Er saß in dem Café, drückte die Zunge gegen die Prothese und rührte träge und gegen den Uhrzeigersinn in seinem Kaffee. Schließlich gelangte er zu dem professionellen Schluss, dass Phil Collins ein Mistkerl war, weil er einem nie verriet, was dieses Etwas war – dieses Etwas, das allein Phil gespürt hatte, als wäre er ein kahlköpfiges Frühwarnsystem mit Trommelstöcken und Hallgerät.
Auf diese Weise lenkte Tom sich von seinem Sohn ab. Wie immer streifte er den Schmerz nur an der Oberfläche,
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