Gold
über den Rücken, drückte ihre Schulter und tupfte ihr mit einer Ecke des Handtuchs den Schweiß vom Gesicht. Sie hörte auf zu treten. Schloss die Augen und lehnte ihren Kopf an seine Brust. Er wusste nicht, wohin mit seinen Händen und ließ sie hilflos herabhängen. So standen sie eine Minute lang da, während das Schwungrad mit klagendem Ton, der in dem riesigen Raum widerhallte, allmählich zum Stehen kam.
»Ich bin so müde, Tom«, flüsterte sie.
»Bald geht es dir besser.«
»Ehrlich? Meinst du?«
Er dachte einen Moment lang nach und sagte, weil er ihr Trainer war: »Klar.«
Sie lächelte ihn an. »Lügner.«
Und dann passierte alles ganz plötzlich. Sie stieg vom Standrad, machte zwei Schritte in Richtung Umkleide und brach mit einem Aufschrei zusammen. Er rannte zu ihr hin, und sie umklammerte seine Hände. Als er begriff, was vor sich ging, bekam er weiche Knie. Er war geistesgegenwärtig genug, um ihr noch das Trikot aus-und die normalen Kleider anzuziehen. Bloß keine Aufmerksamkeit erregen, was immer passierte. Als der Krankenwagen kam, stieg er mit ihr ein. Sie ergriff wieder seine Hände, verdrehte die Augen. Als der Sanitäter zu seinem Klemmbrett griff, um die Personalien der Patientin aufzunehmen, nannte Tom den Mädchennamen seiner Mutter.
Als die Sanitäter Zoe vierzig Minuten später in den Kreißsaal schoben, umklammerte sie noch immer seine Hände. Man zog sie aus und legte ihr einen Krankenhauskittel an, während Tom das Gesicht abwandte. Sie bekam wehenhemmende Mittel, doch sie wirkten nicht. Eine Stunde nach der Einlieferung erklärte die Hebamme, man könne die Geburt nicht mehr aufhalten.
»Sind Sie der Partner?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich bin nur ein Freund. Ich warte draußen, in Ordnung?«
Zoe packte seine Hände. »Lass mich nicht allein. Bitte.«
»Ich warte draußen.«
Sie sah ihn flehend an. »Bitte.«
Tom schloss für einen Moment die Augen. »Na schön.«
Die Hebamme sah Zoe ausdruckslos an. »Nur um das festzuhalten – sind Sie damit einverstanden, dass dieser Herr bei der Entbindung anwesend ist?«
Zoes Gesicht verzerrte sich, als eine schmerzhafte Wehe über sie rollte. »Ich habe sonst niemanden«, sagte sie dann.
»Ist das ein Ja?«
»Ja.«
Sie bekam Pethidin, Lachgas und Sauerstoff. Danach schienen die Wehen erträglicher zu werden. Er hielt ihre Hand und kniete sich hin, um ihr ermutigende Worte ins Ohr zu flüstern. Fünfunddreißig Jahre zuvor hatte man ihn nicht in den Kreißsaal gelassen, und er sagte Zoe, was er damals seiner eigenen Frau gesagt hatte, bevor man sie wegbrachte. Er sagte, was er seinen Athleten seit Jahrzehnten sagte: Atmen.
Durch den Schock, die Schmerzmittel und das Lachgas war Zoe völlig durcheinander. Sie drückte seine Hand und stöhnte.
»Schon gut«, sagte er. »Alles ist gut.« Er wusste, dass man das sagte, gerade wenn es nicht der Fall war.
Sie drehte den Kopf zu ihm, ein irrer Blick.
»Tom. Wenn die mich hier rauslassen, fahren wir sofort zurück und beenden das Training, okay?«
»Einfach nur atmen. Dafür bleibt noch jede Menge Zeit.«
Sie schüttelte den Kopf und krümmte sich vor Schmerz. »Ich muss zurück.«
Schweißperlen standen auf ihrem Gesicht, und sie bohrte ihre Nägel so tief in seine Hand, dass es blutete. Sie hatte die Augen zusammengekniffen, und Tom hielt den Blick fest auf ihr Gesicht gerichtet. Die Hebamme forderte Zoe auf, zu pressen, und dann brachten die Ärzte irgendetwas weg. Sie bemerkten es nicht, und niemand erklärte ihnen, was los war.
Als fünfzehn Minuten später die Plazenta kam, hielten beide sie für das Baby.
»Es kommt«, stöhnte Zoe. »Mein Gott, es kommt.«
Tom spürte, wie die Spannung in ihrem Körper stieg, und als sie nachließ, hörte er, wie etwas Schweres, Schlaffes aus ihr herausschoss. Er sah hin, rechnete mit einem Neugeborenen. Stattdessen hielt die Hebamme einen blutigen Klumpen in der Hand. Er war von einer durchsichtigen, gelatineartigen Hülle umgeben. Daran baumelte die Nabelschnur. Er zwang sich, noch einmal hinzusehen und der Schnur zu der Stelle zu folgen, an der sich der Bauchnabel befinden musste. Er wollte begreifen, was er da sah. Er starrte die Plazenta lange an, suchte nach dem gewölbten Bauch und den Gliedmaßen, nach winzigen Armen und dünnen Beinchen und einem schockierten kleinen Gesicht. Als er nichts davon erkennen konnte, geriet er in Panik. Eine furchtbare Scham überkam ihn, irgendetwas war auf schreckliche und abscheuliche Weise
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