Gold
obwohl sie sich keinen Millimeter bewegten, sobald man sie fixierte. Der Weizen war noch frisch und grün, durchsetzt mit Mohn-und Kornblumentupfern. Sie fuhren über die Feldwege, sangen Back to life von Soul II Soul und nahmen die Hände vom Lenker, um im Rhythmus zu klatschen. Mauersegler stießen auf sie herunter und stiegen blitzend und zwitschernd wieder in die Höhe. Als sie den Fuß des Black Hill erreichten, stiegen sie ab und schoben die Räder. So steil war der Hügel.
Sie teilten sich eine Wasserflasche aus Aluminium, wie Profis sie früher benutzt hatten. Sie war verbeult und abgeschabt, es waren nur noch Spuren der ursprünglichen Farbe zu erkennen. Adam trank oft und geräuschvoll, damit Zoe merkte, wie professionell er war. Allerdings musste er deswegen auch ständig pinkeln. Sie schloss die Augen, horchte und stellte sich vor, es wäre ihr Urin, der Insekten vertrieb und in die Erde sickerte und dunkle Gerüche von Leben und kühlem Schiefer freisetzte. Für Jungs war dieser Trost wohl selbstverständlich. Wie schlimm es auch kommen mochte, man konnte immer noch Ameisen und Käfer vertreiben.
Auf dem Gipfel blieben sie stehen, um zu verschnaufen. Sie schnallten ihre Rennhelme fest. Es war 1989. Um die Sicherheit kümmerten sie sich noch nicht. Doch Greg LeMond hatte soeben die Tour de France mit einem futuristischen stromlinienförmigen Helm gewonnen – den hatten sie in den Nachrichten gesehen –, und daher hatten sie und Adam sich aerodynamische Helme aus Hühnerdraht, Kleister und Zeitungspapier gebastelt. Unter dem Kleister von Zoes Helm war der Mann abgebildet, der auf dem Platz des Himmlischen Friedens vor den Panzern stand. Er war berühmt geworden für seine Langsamkeit. Vier Panzer rückten auf ihn zu, jeder Nerv seines Körpers trieb ihn zur Flucht, und trotzdem wich er nicht von der Stelle. Es war das einzige Rennen, das man gewinnen konnte, ohne sich von der Stelle zu rühren.
Adam und Zoe stellten sich nebeneinander an der Eiche auf, die ihnen immer als Startlinie diente, und drehten die Räder in Richtung Abhang. Die Straße war etwa zwei Meter breit und von Buchen gesäumt, deren Kronen sich zueinander wölbten. Das Licht war grün und weich. Sie nahm die linke Seite der Straße, Adam die rechte. Sie war älter, daher konnte sie ihn herumschubsen. Sie hatte sich für die linke Seite entschieden, weil sich die Straße den ganzen Weg über nach links neigte, so dass ihre Strecke kürzer war. Sie hatte die kürzere Strecke und das neue Fahrrad mit den geraden Reifen. Sie würde Adam um Längen schlagen. Er grinste sie nur an. Er hatte nie herausgefunden, weshalb er jedes Rennen verlor. Oder vielleicht doch, und es war ihm egal. Adam war das einfach nicht so wichtig wie ihr.
Ihre Helme wurden von einer Schnur gehalten. Bei Adam konnte man vorn noch ein Stück von einer Schlagzeile erkennen. Dort stand JUBEL ÜBER. Er grinste ins grüne Licht, die Lücke, in der seine neuen Schneidezähne wuchsen, wurde sichtbar, und es roch nach blühenden Pflanzen, und da stand JUBEL ÜBER. Worüber, fragte sie sich. Sie zählten von fünf herunter und stellten sich senkrecht auf die Pedale. Zoe rückte langsam vor. Und dann schossen sie davon wie die Irren. Sie konnte hören, wie Adam nach Atem rang und gleichzeitig kicherte. Je mehr er sie jagte, desto schneller fuhr sie.
Sie fuhren so schnell, dass ihre Augen tränten. Sie konnte nicht viel sehen, aber es gab auch nicht viel zu sehen – nur die Straßenböschungen, zwischen denen sie hindurchfahren mussten. Die Luft über ihr donnerte, und sie schrie vor lauter Aufregung, genau wie Adam. Es gab ein Tempo, bei dem das Fahrrad unter einem zu summen begann, bei dem die Vibration in Lenker und Sattel einen fast in Trance versetzte. Man nahm jede Einzelheit wahr. Jedes Klicken, wenn Marienkäfer ihre Flügel im langen Gras ausbreiteten, weil sie sich vor einem fürchteten. Jede Erschütterung winziger Steinchen, die die Räder auf dem Asphalt aufwirbelten und gegen den gespannten Stahl des Rahmens schleuderten. Die Zeit schien seltsam unentschlossen. Alles ging ungewöhnlich schnell und ungewöhnlich langsam zugleich.
Sie johlte. Adam johlte zurück, irgendwo hinter ihr. Nach der Biegung kam ein Auto die Straße heraufgefahren, schwarz und lautlos im Donnern der vorbeirauschenden Luft, unglaublich nah. Sie sah das Gesicht der Fahrerin. Sie sah das O, zu dem sich ihr Mund verzog. Ihr Lippenstift war von einem unnatürlichen Neonpink. Zoe raste über
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