Gold
die Böschung zu ihrer Linken, die Fahrerin tat das Gleiche auf ihrer Seite, und Zoe schoss an ihr vorbei. Sie war überrascht, dachte: Auf dieser Straße sieht man selten Frauen mit Lippenstift. Dann hörte sie den Knall, der viel lauter war als das Ende der Welt, und trat weiter in die Pedale.
Sie wusste, es würde erst wahr, wenn sie sich umdrehte. Sie wusste, wenn sie schneller fahren konnte als die Nachricht, würde die Nachricht sie nie erreichen. In dieser Stunde tauchte sie zum ersten Mal ganz deutlich aus dem breiten Strom der Zeit empor. Sie und die Zeit waren Öl und Essig, die man schüttelte und stehen ließ: Sie trennten sich wieder in Magie und Wasser. Sie fuhr vierzig Kilometer an einem Stück, und als die Polizei sie schließlich fand, dämmerte es schon, und sie war auf der Schnellstraße und schwankte vor Erschöpfung hin und her, während Schwerlaster auswichen und hupten. Sie war im Delirium. Sie fragte die Polizisten, ob es Ärger gäbe, weil sie das Glitzerzeug von ihrem Lenker abgeschnitten und auf dem Küchenboden liegen gelassen hatte. Sie setzten sie hinten ins Polizeiauto, nahmen ihr den Helm aus Pappmaché ab und legten ihn neben sie auf den Sitz. Sie brachten sie ins Krankenhaus, wo sie zuerst Flüssigkeit und später dann die Nachricht bekam.
Am nächsten Nachmittag holte ihre Mutter sie aus dem Krankenhaus und fuhr schweigend mit ihr nach Hause. Auf dem Küchenboden lagen noch immer das Glitzerzeug und die Haare. Ihre Mutter ging wortlos ins Bett und blieb zehn Tage in ihrem Zimmer, bis sie in der Lage war, ans Telefon zu gehen und zuzustimmen, dass man Adam aus dem Kühlraum ins Krematorium brachte.
Karten und Blumen trafen ein. Zoe war sich nicht so sicher wie alle anderen, dass es vorbei war. Mehrmals am Tag stieg sie auf den Black Hill und raste so schnell sie konnte hinunter. Die Abmachung sah so aus: Wenn sie schneller fahren konnte, als sie je gefahren war – wenn sie schneller fahren konnte als die Zeit –, dann würde sie sich umdrehen, und Adam würde wieder hinter ihr herjagen. Sie war sich sicher, dass sie ihn zurückholen konnte. Sie hatte als Kind so viele Abmachungen getroffen, und immerhin die Hälfte hatte funktioniert. Einmal hatte sie Heiligabend in ihrem Schlafsack auf dem Boden geschlafen, um ihr Bett Jesus zu überlassen. Am Morgen schaute sie nach, ob das Kissen benutzt war. Das war es nicht. Ein anderes Mal aber war sie an einem toten Fuchs vorbeigefahren, der auf der Straße lag und ganz unverletzt aussah. Er war noch warm, und in seinen Augen glitzerte ein schwarzes Feuer. Die Abmachung lautete, dass er wieder zum Leben erwachen würde, wenn sie ihn an einer Hängebirke platzieren und Eicheln neben seinen Kopf legte, die er nach dem Aufwachen fressen könnte. Am nächsten Tag war sie wieder hingegangen, und er war verschwunden, und das war der Beweis.
Wenn sie für einen Fuchs die Zeit überlisten konnte, konnte sie ihr auch ihren Bruder entreißen. Wieder und wieder fuhr sie den Black Hill hinunter, schneller und schneller, und wann immer sie sich umdrehte und Adam nicht hinter sich sah, dachte sie: Nächstes Mal muss ich einfach nur noch schneller sein. Ich werde niemals ein Rennen verlieren.
Sie wusste nicht mehr, an welchem Tag sie aufhörte zu glauben, dass ein Sieg Adam zurückbringen würde. Sie wusste nicht mehr, wann sie aufhörte, sich beim Rennen umzudrehen, ob er ihr auf den Fersen war. Sie wurde nur allmählich erwachsen, und die sich selbst genügende Zeit setzte sich ein Denkmal aus Zoes Erinnerungen, das sich aus der Ebene ihrer Erfahrung erhob und ihr den Blick auf die Vergangenheit verstellte.
203 Barrington Street, Clayton, East Manchester
Während Kate mit Tom telefonierte, kam Sophie herunter, klammerte sich ans Geländer und kniff die Augen vor dem Licht zusammen.
»Tom«, sagte Kate, »ich muss Schluss machen.«
»Klar. Kommst du?«
»Sicher. Ich fahre gegen sie.«
»Ich kann dir ein bisschen mehr Zeit geben, wenn du möchtest. Eine oder zwei Wochen, falls du dich mental darauf einstellen musst.«
Sie schloss flüchtig die Augen, während sie darüber nachdachte. »Nein. Es ist in Ordnung, wenn wir morgen fahren.«
»Kann ich dir irgendwie helfen? Möchtest du etwas mit mir besprechen?«
»Nein. Du solltest nur mein Rad fertig haben.«
»So kenne ich dich«, sagte Tom. »Dann also morgen Mittag. Komm um elf zum Aufwärmen.«
»In Ordnung.«
Kate steckte das Handy ein und umarmte Sophie. »Alles in Ordnung?«
Sophies
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