Gold
Tom.
Sie blieben beide noch eine Weile im kühlen Licht der Station stehen. Alles schien gesagt.
Im Café trank Tom seinen Kaffee aus. Etwas von dem dicken Bodensatz war in seinen Mund gelangt, knirschte zwischen seinen Zähnen und schmeckte nach bitterer Schwärze. Mit seinen Gedanken war er immer noch in der Vergangenheit.
Zoe hatte das Baby nicht gewollt; Jack hatte Zoe nicht gewollt. Nachdem Tom es einmal klar formuliert hatte, schien die Lösung zum Greifen nah. Er hatte Jack, Kate und Zoe eine Woche weggeschickt, damit sie in Ruhe nachdenken konnten, während er im Krankenhaus bei dem Baby geblieben war. Er half den Schwestern dabei, die winzigen Windeln zu wechseln und die Infusionsflaschen auszutauschen. Er schlief in dem Bett, das man für Zoe aufgestellt hatte, und holte sich sein Essen aus den Automaten. Die Krankenschwestern hielten ihn für den Großvater, und er fand es einfacher, sie nicht zu korrigieren. Er rief Zoe jeden Tag an und bat sie zu kommen, was sie manchmal auch tat. Dann saß er mit ihr da, während sie beide die winzigen Hände des Babys betrachteten.
»Möchtest du sie nicht auf den Arm nehmen?«
Zoe verschlang die Hände ineinander. »Ich kann nichts für sie empfinden.«
»Kannst du es nicht oder lässt du es nicht zu?«
Zoe hatte das Baby nicht aus den Augen gelassen. »Es ist besser für sie, wenn sie nicht bei mir ist.«
»Bist du dir sicher, dass Jack sie nehmen soll? Woher willst du wissen, dass du in ein paar Monaten nicht anders empfindest?«
Sie zog die Knie unters Kinn und schaute das Baby an.
»Es geht nicht darum, was ich fühle, oder? Es geht darum, wer ich bin. Ich tue ihr nicht gut, Tom.«
Ein paar Tage später sagte er bei einem ihrer Besuche: »Gib ihr wenigstens einen Namen.«
»Sophie«, sagte sie prompt.
»Oh. Du hast also darüber nachgedacht.«
»Ich denke ständig an sie. Ich habe an nichts anderes gedacht.«
»Warum hast du nichts davon gesagt?«
Sie schloss die Augen. »Ich wusste nicht, ob ich ihr einen Namen geben darf. Ob ich das Recht dazu habe.«
Er umarmte sie. »Du hast ihr so viel gegeben, wie du konntest. Mehr kann keiner von uns tun.«
Die Krankenschwestern schrieben Sophie auf das Namensarmband und die Tafel an der Wand. Nun, da das Mädchen durch mehr als nur durch Schläuche mit der Welt verbunden war, verbreitete sich ein unausgesprochener Optimismus auf der Station. Die Mitarbeiter wirkten sorgloser, ihre Stimmen klangen fröhlicher. Tom gefiel der Name. Er hatte etwas Weiches, Hoffnungsvolles und passte zu einem Kind, dessen Anspruch auf Leben noch immer nicht gesichert war.
Als Jack das nächste Mal ins Krankenhaus kam, war Kate dabei. Von da an lösten sie einander ab, so dass immer jemand bei Sophie blieb, während der andere trainierte. Tom wurde Zeuge, wie aus Jack ein hingerissener Vater wurde und wie sich auch Kate in das Baby verliebte. Er beobachtete sie einen Monat lang mit derselben Aufmerksamkeit, mit der er sich seinen Fahrern auf der Bahn widmete. Als er sicher war, dass es funktionieren würde, half er ihnen bei dem ganzen Papierkram. Jack erhielt das Sorgerecht, Zoe das Besuchsrecht und der Presse wurde eine völlig andere Geschichte aufgetischt. Zoe wäre vernichtet worden, wäre herausgekommen, dass sie ihr Kind weggab, und Tom sorgte dafür, dass von einer Totgeburt die Rede war. Es war die einzige Story aus dem Umfeld der Rennfahrer, die die großen Tageszeitungen in der gesamten trainingsfreien Zeit brachten.
Eine Weile war sie die tapfere Zoe oder die tragische Zoe, und sie zeigten Fotos, auf denen sie mit dunkler Brille vom Training kam.
Drei Monate später war Sophie kräftig genug, um mit Jack und Kate das Krankenhaus zu verlassen. Sie warteten noch einen Monat und ließen dann durch die Pressestelle des Radsportverbandes bekanntgeben, dass Kate eine Tochter geboren hatte und in dieser Saison kein Rennen fahren würde, aber immer noch plante, für Athen fit zu werden. Kate selbst gab keine Interviews, und Tom raunte ein oder zwei Reportern zu, dass es aus Respekt gegenüber Zoe geschah. Jack war drei Minuten lang im Frühstücksfernsehen auf BBC zu sehen, und in der Times erschien ein unbekümmerter, selbstironischer Artikel über das Vatersein, der auf einem lockeren Telefonat zwischen Jack und einem Redakteur beruhte. Dazu gehörte ein Foto im Renntrikot, auf dem er Sophie vorsichtig im Arm hielt. Weil alles im Winter passiert und Kate seit der Weltmeisterschaft nicht mehr öffentlich aufgetreten
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