Gold
Gesicht war vom Schlaf verquollen. Sie löste sich aus der Umarmung und musterte Kate, als müsste sie sie als Spezies erst einmal einordnen. »Entschuldigung«, sagte sie mit krächzender Stimme, »was für ein Planet ist das hier?«
»Auf der Erde ist Frühstückszeit«, antwortete Kate. »Rice Krispies oder Bananenstücke?«
»Rice Krispies. Stehst du auf der Seite des Imperiums oder der Rebellen?«
»Der Rebellen. Saft oder warmer Kakao?«
»Saft. Wo ist Dad?«
»Beim Training.«
Sophie stöhnte, setzte sich an den Küchentisch und stützte den Kopf in die Hände.
»Alles in Ordnung, Liebes?«
»Klar.«
»Wirklich?«
Sophie zog die Knie ans Kinn und schaute wortlos aus dem Küchenfenster.
Kate spürte einen Stich in der Brust. Sie drückte Sophie ganz fest an sich und bemerkte, wie schmal sie geworden war. Es kam ihr vor, als würde sie mit jedem Tag weniger. Kate schloss die Augen und atmete den Geruch ihrer Tochter ein.
Sie hatte Sophie von der ersten Woche im Krankenhaus an geliebt. Sie war völlig von ihr absorbiert – hatte sie von dem Augenblick, in dem sie sie im Inkubator liegen sah, richtiggehend vergöttert. Für sie war es klar, dass ein so kleines Lebewesen nicht gezwungen werden durfte, allein zu überleben. Sie hatte wochenlang bei ihr im Krankenhaus gesessen, und ihr Herz schlug jedes Mal schneller, wenn der unnatürlich kleine Körper den Arm bewegte oder ein Auge öffnete. In diesen Momenten hatte Sophie nur ihr gehört. Es war ganz natürlich gewesen, die Sorge für das Kind zu übernehmen, in den Inkubator zu greifen, um die Schläuche zu richten, oder Sophie vorsichtig mit einem warmen feuchten Tuch zu waschen.
Sie hatte sich von allen am meisten um Sophie gekümmert. Jack hatte seine Schichten gern übernommen, doch Kate fiel es schwer, Sophie allein zu lassen. Sie hatte immer das Gefühl, es gäbe noch mehr zu tun. Allmählich passte sie sich dem Rhythmus der Kleinen an, richtete sich nach deren Schlaf, nach den Zeiten für die Mahlzeiten und die Pflege.
Als sie Sophie mit nach Hause nahmen, bekräftigten sie noch einmal, dass sie sich die Arbeit teilen würden, doch wenn sie Jack bei seinen unbeholfenen Versuchen beobachtete, fand sie immer irgendeinen Grund, um zu übernehmen. Sie konnte alles, nur eins nicht – nach ihrer Sporttasche greifen und sich von ihrer Tochter trennen, und sei es auch nur für fünf Stunden.
Letztlich hatte Jack sehr viel besser trainiert als sie. Einen Monat vor den Olympischen Spielen in Athen hatte er sich den Platz im Team gesichert, während Kate die Auswahl nicht schaffte. Sie hatte die Tatsache mit einem dumpfen Schock aufgenommen und sich damit abgelenkt, ganz für Sophie da zu sein. Dann folgte die nächste Enttäuschung, als der Kinderarzt ihnen mitteilte, dass Sophies Immunsystem noch nicht besonders stabil sei und eine Reise nicht zulasse. Das sei völlig normal bei Frühgeborenen – mit der Zeit werde sich das höchstwahrscheinlich regulieren –, doch diesmal müsse Kate sich die Olympischen Spiele im Fernsehen anschauen.
Sie hatte mit Jack eine Abmachung getroffen, als seine Flugtickets eintrafen und das Gefühl, ausgeschlossen zu sein, schließlich wehzutun begann. Nach Athen würden sie zu gleichen Teilen für Sophie sorgen, um beide in Peking starten zu können. So lautete die Abmachung.
Letztlich war es nicht so schlimm, wie sie gedacht hatte. Sie und Jack hatten immer vorgehabt, nach ihrer Karriere eine Familie zu gründen. Wenn sie von einer Art Unfall ausging – einmal die Pille vergessen –, konnte sie es leichter akzeptieren. Sophie war wie jedes dritte Kind: ungeplant, aber nicht ungewollt. Damit tröstete sie sich und freute sich über Zoes Erfolg. Und auch als Jack am nächsten Tag Gold gewann, empfand sie aufrichtige und ungetrübte Freude. Als er ihr dann auf dem Siegerpodest einen Heiratsantrag machte, rief sie in zweieinhalbtausend Kilometern Entfernung vor dem Fernseher ganz laut: »Ja!« Zwanzig Minuten später stand ein Dutzend Fotografen vor ihrem Haus, und ein Kamerateam filmte sie, als sie noch einmal mit Jack telefonierte.
»Ja«, sagte sie, diesmal leiser. »Ja, ich will.«
Sophie lächelte, als Kate mit ihr auf dem Arm vor der Haustür stand. Das Foto erschien am nächsten Tag auf allen Titelseiten. Jemand hatte ihnen eine britische Flagge um die Schultern gelegt.
Nach Athen bekam Jack einen Sponsorenvertrag. Nike zeigte sich sehr großzügig. Sie hätten in ein größeres Haus in einer hübscheren,
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