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Gold

Gold

Titel: Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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war, stellte niemand Fragen. Sie war nur eine weitere vielversprechende Sportlerin, die die Familie an erste Stelle gesetzt hatte, Jack nur ein weiterer gut aussehender Typ, der die Herzen der Menschen mit einer Anekdote über das Windelwechseln eroberte.
    Tom hatte den ganzen Schwindel aufgezogen, die Probleme in ihre Einzelteile zerlegt und so gelöst. In den Jahren danach tat er sein Bestes, wann immer Zoe zusammenzubrechen drohte.
    Tom schob die Kaffeetasse beiseite und warf noch einen Blick auf die Zeitung mit dem Foto von Zoe und Kate. Die Presse zog die Daumenschrauben an. So würde es drei Monate weitergehen, bis endlich feststand, welche der beiden Fahrerinnen in London teilnehmen würde. Früher oder später würde eine von ihnen einen Fehler begehen. Entweder würde Zoe eine Dummheit anstellen oder Kate unter dem Druck zusammenbrechen oder irgendein Schreiberling die Wahrheit über Sophie herausfinden. Wenn man dieses Problem in seine Einzelteile zerlegte, bestand es aus zwei Aspekten: Die Medien konzentrierten sich ganz auf die Rivalität zwischen Zoe und Kate, und ihnen blieben noch ganze drei Monate, um damit Zeilen zu schinden.
    Er legte einen Fünfpfundschein unter die Kaffeetasse, rappelte sich hoch und traf seine Entscheidung. Am Verhalten der Medien konnte er nichts ändern, wohl aber die Zeit abkürzen. Er nickte dem Kellner zu, hinkte nach draußen und rief nacheinander seine Mädchen an.

Beetham Tower, 301 Deansgate, Manchester
    Es war noch früh, als Zoe das Gespräch beendete, das Telefon auf die Arbeitsplatte legte und ans Fenster trat. Es war ein heller Morgen, an dem Kumuluswolken träge an der Schnittstelle zwischen Himmel und Horizont dahintrieben. Die Lücken zwischen ihren Schatten auf dem Boden waren erstaunlich gleichmäßig. Hier oben bemerkte man Muster, die von unten aus willkürlich wirkten. Die Wolken am Himmel hielten instinktiv Abstand, genau wie die Menschen auf der Erde. Es gab so viele Wolken, doch sie stießen nie zusammen. Es hatte nichts Plumpes, wenn ihre ordentlich aufgereihten Schatten dunkle Zeitsprenkel auf die Flucht der Dächer malten.
    Zoe legte eine Hand an die Scheibe, um sich abzustützen, und hob nacheinander die Fersen, um die Muskeln ihrer Oberschenkel zu dehnen. Tom hatte angerufen und gefragt, ob sie bereit wäre, morgen gegen Kate anzutreten und das Ergebnis zu akzeptieren. Es sei besser, die Sache hinter sich zu bringen, als sich drei Monate lang fertigzumachen, während sie auf die offizielle Qualifikation warteten. Sie hatte gedankenlos zugestimmt, so wie sie Tom immer zustimmte.
    Unten im Stadtzentrum, auf der Princess Street und der gesamten Portland Street, konnte sie die Reklametafeln mit ihrem Gesicht sehen. Wenn sie morgen gegen Kate verlor, würde es keine weitere Kampagne geben. Man würde sie mit neuen Plakaten überkleben. Nur in den Vororten würden angesichts der wirtschaftlichen Lage hier und da ein paar verwaiste Poster hängen bleiben. Grün wäre die letzte Farbe, die verblich. Ihre Haut würde zuerst verschwinden, dann die silbernen Ränder der Eiswürfel im Glas. Schließlich wären nur noch ihre Augen übrig, der grüne Lippenstift und der grüne Pony. Sie würde von weiß verwaschenen Plakaten über die grauen Straßen blicken.
    Sie schauderte und schob das Bild beiseite. Sie konnte nicht glauben, dass es dazu kommen würde. Es gab für sie nur eine Möglichkeit, sich von ihrem Sport zu verabschieden: von der obersten Stufe des Podests in London. Tom war sicher der Ansicht, dass sie Kate schlagen würde, sonst hätte er sie nicht zu diesem Rennen aufgefordert. Er wusste, dass sie ein langsames Dahinschwinden nicht überleben würde.
    Das Siegen hielt sie am Leben, und ohne Sieg gab es nur schwarze Verzweiflung. So war es gewesen, seit sie denken konnte. Sie war nach unvermittelt eingetretenen Wehen in einem dahinrasenden Krankenwagen geboren worden, und das erste Geräusch, das sie hörte, war eine Sirene gewesen. Was konnte man tun, wenn man nicht unter einem Sternzeichen, sondern unter einem flackernden Blaulicht geboren wurde? Man konnte nur dem Schicksal einen Schritt voraus sein. Man konnte nur Kalorien zählen und jeden Morgen dreihundert Sit-ups absolvieren und im eigenen Körper ein Zuhause finden.
    Mit zehn Monaten krabbelte sie schneller als die anderen Babys. Wenn es Zwieback oder Rasseln zu erreichen gab, erreichte sie sie als Erste. Mit elf Monaten lief sie, während die anderen noch dahintapsten. Auf alten Fotos sah

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