GOLDAUGEN (German Edition)
alte zahnlose Hexe, die schon immer als verwirrt galt, hochzuheben. Fassungslos betrachteten die beiden Männer ihre Hände, die nun golden schimmerten. Ihr Blick war jetzt leer, sie ließen von ihr ab und bewegten sich etwas steif aufs Haus zu. José Mangettá rief im Haus nach seiner Frau und seinen Kindern und weitere Namen, gemeint war wohl das Personal. Sowohl Francois als auch Arthur waren der spanischen Sprache mächtig, beide verstanden jedes Wort.
Es war gespenstisch …
Im großen Eingangsbereich hätte man locker ein Fest mit Hunderten Leuten feiern können. Eine große feudale Tafel war angerichtet. Aber nichts und niemand bewegten sich!
Sie staunten, waren gleichzeitig entsetzt und unsicher. Was ging hier vor? José warf sich über ein rotes Kleid, hob es hoch, darunter lagen schwarze Schuhe, es kam ihm die Gewissheit. Er schrie wie von Sinnen:
»Maria, Maria, Maria!«
An dem Kleid hing eine klebrige Masse.
Seine Stimme ver sagte, er begann leise zu beten:
» Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name. Dein Reich komme …«
Seine beiden Freunde schlossen sich ihm an und sprachen Wort für Wort laut mit. Francois trieb etwas an, er musste handeln.
» Arthur, bleibe bei José, ich gehe nach draußen, ich muss an meinen Koffer.«
Er stieß fast mit Pedro und Juan zusammen. Er sah ihre Augen und wusste sofort, dass sie nicht mehr Herr ihrer Sinne sein konnten. Francois vermied es, sie zu berühren und bewegte sich sehr grazil.
Er rief ihnen zu :
» Arthur, José, passt auf, die beiden sind besessen. Zieht eure Goldklingen!«
Francois hielt seinen fast ein Meter neunzig großen Körper immer mit diversen Turnübungen in Form. Seine achtundfünfzig Jahre merkte man ihm nicht an. Nun würde sich seine Körperertüchtigung auszahlen.
Mit brachialer Gewalt riss er die rückwärtige Klappe hinter der Kutsche auf und griff nach seinem Koffer. Seinen kurzen goldenen Dolch, den jeder aus der Bruderschaft besitzt, hielt er in seiner linken Hand.
Ein Meisterstück der Goldschmiedekunst.
Mit besonderen Weihen gesegnet, vertrauten sie alle darauf, dass die se Klingen sie schützen würden. Francois hörte ein Geräusch hinter sich, ein leises Fauchen veranlasste ihn, sich blitzschnell umzudrehen. Der Tiger sprang auf ihn zu, er riss den Arm mit der Klinge hoch und rammte sie dem edlen Tier in die Brust. Er traf gar nicht wirklich Festes.
»Gott, steh uns allen bei !«
Das Maul war weit aufgerissen, Francois sah, dass das alte Tier so gut wie keine Zähne mehr besaß, es ging keine wirkliche Gefahr von ihm aus. Das Fell löste sich ab, das Fleisch und alle Knochen lösten sich auf. Seine Anmut schmolz förmlich dahin. Francois musste sich zwingen, nicht hinzuschauen. Seinen Koffer hatte er nun in der Hand, sein Blick schweifte kurz im Garten umher, er suchte die Alte und sah sie. Sie berührte gerade den kleinen Elefanten.
» Ich komme gleich zu dir, du Missgeburt der Hölle!«
Er schrie es laut heraus. Gleichzeitig dachte er an seine beiden Freunde im Haus und an seine Familie in Frankreich. Seine Gedanken überschlugen sich, dennoch war er fest entschlossen. In der linken Hand hielt er seine Goldklinge, in der rechten nun eine Art Glasflakon mit einer Flüssigkeit. Er wusste nicht, ob es wirkt, niemand vor ihm hatte es je ausprobieren können.
»Großer Gott, führe meine Hand !«
Die alte Frau, wenn sie denn noch menschlich war, bewegte sich wie in Trance auf ihn zu. Er hatte kein Erbarmen, für ihn war sie Teufelswerk. Mit großer Wucht rammte er ihr die goldene Klinge in die Brust, dahin, wo er mal ein Herz vermutete. Der Dolch steckte in ihr drin und nichts geschah, nicht einmal Blut rann aus der vermeintlichen Wunde.
Seine Augen waren weit aufgerissen, er sah auf die kleine Frau herab und konnte es nicht begreifen. Wild zog er den herausstehenden Korken aus der Flasche und übergoss sie mit Königswasser. Dabei kam er ihr zu nahe, und sie berührte zart seine Hand. Francois erschrak und machte einen Schritt nach hinten.
»Stirb endlich !«
Er konnte sich nicht erinnern, jemals ein Lebewesen so hasserfüllt angeschrien zu haben. Francois erstarrte zur Salzsäule. Einerseits, weil er nun wusste, dass es für ihn kein gutes Ende nehmen würde und andererseits sprengte das, was er nun erblickte, seinen geistigen Horizont.
Der alte ausgemergelte, faltige Frauenkörper sackte zusammen und transformierte zu einem Baby. Binnen weniger Sekunden lag ein kleines Geschöpf Gottes vor
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