Goldbrokat
möglicherweise infiziert waren. Jetzt hob er sie nicht mehr auf, sondern übergab auch sie dem läuternden Feuer.
Als schließlich alle Saat ausgelegt war und auf die Wirkung der Frühlingssonne wartete, stellte er neue Berechnungen an.
Es würde ein ergiebiges Jahr werden, schloss er, als er mit spitzer Feder die geplanten Summen addiert hatte. Das beste überhaupt. Wenn es keine schwerwiegenden Störungen gäbe, würde er einen Großteil seiner Schulden bereits mit dem Verkauf der ersten Produktion wieder ablösen können.
Vor allem, wenn er die Preise weiter anpasste.
Und das ließ sich bei seinen ausländischen Kunden noch besser durchsetzen als bei den einheimischen. Die französische Seidenindustrie verschlang gewaltige Mengen Rohseide, und seine Kollegen machten ihre Geschäfte lieber im Binnenmarkt als mit Männern, deren Sprache sie nicht beherrschten und die die ihre nicht mal ansatzweise zu verstehen versuchten. Das war sein großer Vorteil.
Ja, in diesem Sommer oder im Herbst würde er wieder nach Deutschland reisen. Neue Kontakte auf dem hungrigen Seidenmarkt zu knüpfen, sollte einfach zu bewerkstelligen sein. Wer ein rares Gut besaß, dem wurden gerne die Türen geöffnet.
Das Rad der Fortuna trug ihn nun endlich stetig nach oben.
Deshalb würde er auch diese anderen Angelegenheiten befriedigend zu regeln wissen.
Die Witwe Kusan beispielsweise – diskrete Erkundigungen hatten ergeben, dass sie gegen Geld für Wever arbeitete und sich zudem mit irgendwelchen Schneiderarbeiten über Wasser hielt. Ihre Eltern, völlig verarmt, hatten das Land schon vor Jahren
verlassen und fristeten in Paris ein karges Künstlerleben. Von Kusan jedoch fehlte jede Spur. Wann und wo er sein schäbiges Leben ausgehaucht hatte, wusste keiner seiner Informanten zu berichten. Er hatte ihr aber offensichtlich keinen roten Heller, sondern nur zwei Kinder hinterlassen – so denn die beiden Bälger, die Ariane großzog, seinen Lenden entstammten.
Erst hatte er geglaubt, die kleine Schlampe ließe sich von Wever aushalten, aber die letzten Meldungen zeichneten ein anderes Bild. Sie schien tatsächlich Stoffmuster für seine Fabrikationen zu entwerfen. Wever hatte einen zweiten Jacquard-Webstuhl angeschafft und bereits angekündigt, dass er eine um dreißig Prozent höhere Menge an Rohseide benötige. Offensichtlich trug die Zusammenarbeit der beiden Früchte.
Hatte sie sich also aus dem Dreck wieder emporgearbeitet?
Es wurde Zeit, dass Fortuna ihrem Rad einen kräftigen Abwärtsschwung verpasste.
Charnay klappte seine Rechnungsbücher zu und begab sich in seinen Salon. Er überlegte ernsthaft, ob es nicht an der Zeit war, die strenge Bestrafung zu lockern und sich für die hervorragende Arbeit der vergangenen Monate zu belohnen. Eine Weile sann er darüber nach – eine Belohnung musste genauso sorgsam gewählt werden wie eine Strafe. Er entschied sich schließlich für eine Flasche Rotwein und ein paar entspannte Reflexionen über die Möglichkeiten, die sich ihm boten, um Fortuna zu bestechen.
Doch nach dem ersten Glas schon begannen seine Gedanken zu wandern. Er war nach dem langen Fasten den schweren Wein nicht mehr gewöhnt, und undiszipliniert erschien das spöttisch lächelnde Gesicht Arianes vor seinen Augen. Er sah sie wieder auf dem Ball vor zehn Jahren neben dem sichtlich betrunkenen Kusan stehen, während ihr Vater ihre Verlobung verkündete. Ihr Bruder musste den künftigen Bräutigam stützen, so sehr wankte er.
Was immer sie mit dem Kerl angestellt hatte, es war als Beleidigung ihm gegenüber gedacht. Denn er hatte noch am Nachmittag
die Einwilligung ihres Vaters zur Ehe mit ihr erhalten und wollte ihr an diesem Abend seinen Antrag machen.
Aber als sie kurz nach der Ankündigung ihrer Verlobung mit dem Trunkenbold an ihm vorbeiging, hatte sie leise gezischt: »Zu spät, Monsieur!«
Das Glas Rotwein flog durch den Raum und zersplitterte am Kaminsims.
Ein fröhlicher Galopp
Diese hohe Grazie
Entzückt Jedermann,
So, dass selbst Terpsichore
Ihn beneiden kann.
Galopp schließt nun den Ball,
Wie bei dem Karneval
Fast jederzeit der Fall. -
Hopp! hopp!
Es lebe der Galopp!
Jacques Offenbach, Orpheus in der Unterwelt
Philipp und Laura genossen es in vollen Zügen, einen Onkel zu haben. Und Leander genoss es, ihr Held zu sein. Er erzählte ihnen von Paris, von den Straßensängern und den Brücken über der Seine, von den bettelnden Veteranen und den Hinterhofkatzen, den kauzigen Conciergen
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