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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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bat die beiden, mir zu folgen.
    LouLou hatte eine eigene kleine Garderobe und erwartete
uns bereits. Ich stellte meine Begleiter vor, und Viola versank in eine tiefe Reverenz vor ihr und küsste ihr die Hand.
    »Merveilleuse«, stammelte sie, von Ehrfurcht offensichtlich so erschüttert, dass sie alle deutschen Vokabeln vergessen hatte.
    »Lob von einer Kollegin, Viola, ist das höchste Lob«, sagte LouLou lächelnd, und Nona reichte uns den allgegenwärtigen Champagner.
    Ich lauschte still, wie sie zu fachsimpeln begannen, und stellte zufrieden fest, dass ich eine Gesellschaft gefunden hatte, die mir weit mehr behagte als die steifen, prüden und von Dutzenden von Formvorschriften geprägten Zusammenkünfte der vornehmen Welt. Ich war wohl wirklich unter dem Komödiantenstern geboren.
    Was soll’s, dachte ich und trank meinen Champagner aus.

Fortunas Rad im Aufwärtsschwung
    Ich halte Leib und Geist in strenger Zucht
Und werde doch vom Teufel hart versucht

Den Städterhochmut haßt’ ich allezeit
Und hätte gern ein städtisch Kind gefreit.
     
    Conrad Ferdinand Meyer, Homo sum
    Der Frühling hatte Einzug gehalten, sanft erst und mit kleinen Blüten und seidenzarten Blättchen. Erste Bienen brummelten durch die frische, kühle Luft, suchten nach den ersten Honigtöpfchen, kleine Falter tänzelten über dem jungen Gras.Vogelpärchen sammelten eifrig Reisig und Halme, um in den Büschen und Bäumen ihre Nester zu bauen. Die Maulbeerbäume zeigten erstes Laub, und da und dort schlüpfte an sonnenbeschienenen Stellen eine hungrige Raupe aus.
    Nicht alle Seidenspinner waren der menschlichen Eitelkeit geopfert worden, manch Falter war entkommen, manch Weibchen hatte seine Eier auf die Blätter der Bäume gelegt. Das Laub war gefallen, vertrocknet. Der Brut hatte es nicht geschadet. Das Leben darin war nicht abgetötet worden, weder durch Trockenheit noch durch Frost, weder durch Regen noch durch Fäulnis. Wärme aber bewirkte Veränderung, Wachstum, Wandlung.
    In diesem Jahr waren besonders viele Raupen in Freiheit geschlüpft, davon eine ganze Anzahl derer, die aus den verseuchten Beständen stammten, mit denen Guillaume de Charnay experimentiert und die er seinem Nachbarn in die Bruthäuser gesetzt hatte.

    Die Schuppen mochten abgebrannt worden sein, die Seidenspinner aber überlebten.
    Und mit ihnen die Seuche.
     
    Charnay hatte den Winter in strenger Askese verbracht, die seine Haushälterin hin und wieder mit einem vielsagenden Augenrollen ihren Freundinnen gegenüber kommentierte. Aber er hatte auch hart gearbeitet. Sein Gewinn war der höchste seit Jahren, und bei kluger Investition würde er seine Produktion beträchtlich ausweiten. Das neu erworbene Stück Land reichte ihm bei Weitem nicht mehr für seine ehrgeizigen Pläne. Die dort angepflanzten Bäume würden noch Jahre brauchen, bis sie ausreichend zum Futter für die gierigen Raupen beitragen konnten. Er benötigte bestehende Pflanzungen. Die aber besaßen seine Nachbarn.
    Und die finanzielle Lage dieser unvorsichtigen Seidenbauern war bedenklich.
    Ja, der eine oder andere, so hatte er gehört, war in beträchtliche Schwierigkeiten geraten, hatte sich verschuldet und konnte die Banken nicht mehr befriedigen. Zwei Güter standen bereits zum Verkauf an, weil die Besitzer der schwer belasteten Ländereien das Geld für die Hypothekenzahlungen nicht mehr aufbringen konnten.
    Intensive Berechnungen, einige lange, fruchtbare Gespräche mit seinem Bankier und schließlich zähe, harte Verhandlungen bescherten Charnay schließlich die gewünschte Ausweitung seines Besitzes. Nicht alles konnte er aus den Gewinnen der letzten Produktion bezahlen, auch er musste sein Stammgut hoch belasten. Aber die Bank hatte ihn als erfolgreichen Seidenzüchter und verlässlichen Geschäftskunden kennengelernt, sodass sie ihm gegen die entsprechende Sicherheit gerne das Kapital zur Verfügung stellte.
    Kaum hatte er die beiden Betriebe übernommen, machte er sich daran, deren Brut- und Aufzuchthäuser zu säubern, und manches lodernde Feuer vernichtete Schuppen und Scheuern.

    Wohlweislich hatte er im Jahr zuvor mehr als die doppelte Menge Seidensaat erzeugt, und als die Blätter der Maulbeerbäume weit genug gesprossen waren, um geerntet zu werden, ließ er die Leinentücher aus den kalten, dunklen Kellern bringen, um sie in den warmen, neuen Gebäuden auszubreiten. Mit äußerst kritischen Augen prüfte er selbst jede einzelne Lage Eier, um jene auszusondern, die

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