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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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geklaut.Von dem Teppich vorne zum Beispiel. Ein Chrysanthemenmuster, fliegende Kraniche, dann eine
der Kirschblütenranken von einem Lackkästchen, ein geometrisches Muster aus Mäandern und Blumen, tja, und jetzt eben die Rosen von dieser Milchkanne.«
    »Dummes Fädchen.Wir klauen doch alle! Ist dir noch nie der Gedanke gekommen, mal nach draußen zu gucken, wenn du florale Motive brauchst?«
    »Doch, aber ich habe nun mal nicht dein Talent, Leander.«
    Ich schürte das Feuer und setzte den Wasserkessel auf den Herd.
    »Du hast Talent, aber ein anderes als ich. Ich könnte nie diese akribischen Wiederholungen hinbekommen.« Er hatte andere Versuche entdeckt. »Floral soll es sein, richtig?«
    »Angeblich ziehen die Kundinnen es vor. Mir gefallen aber die Kraniche besser.«
    »Mir auch!«, sagte Mademoiselle Martel unerwartet.
    »Gleicher Geschmack. Aber statt kitschiger Blüten könntest du es mal damit versuchen.«
    Und dann flog der Stift über das Blatt. Ich blieb mit angehaltenem Atem neben ihm stehen und beobachtete, wie sich wieder einmal vor meinen Augen ein Wunder vollzog.
    Leander war ein großer Künstler.
    Diese Meinung vertrat ich nicht nur, weil er mein einziger und liebster Bruder war.
    Ein Farnblatt, filigran, anmutig gebogen, doch gleichzeitig von strenger Geometrie. Eine Weinlaubranke, Schafgarbendolden, eine Wistarienrispe, kleine und große Federn in fröhlichem Wirbel.
    Ohne Vorbild, ohne Modell, einfach so aus der Hand.
    »Kannst du damit etwas anfangen?«
    »Du hast mir gerade Aufträge für Monate gesichert.«
    Ich füllte die Kaffeemühle mit Bohnen, klemmte sie mir zwischen die Beine und mahlte, während Leander die Skizzen zusammenräumte. Während sich der Kaffeeduft in der Küche verbreitete, wollte ich wissen: »So, mein Lieber, und jetzt berichte, warum du dich mit einem Korsettfabrikanten gemein machst.«

    »Weil er nicht nur üppige Frauenkörper zu Kunstwerken formt, sondern auch ein Kunstsammler ist. Ein ungewöhnlicher sogar, denn er gehört nicht zu diesen romantisch verklärten Schöngeistern, die sich für farbenprächtige Schlachten- oder Bibelszenen begeistern, wie sie unsere allseits beliebten Nazarener auf so zu Herzen gehende Weise zu produzieren wissen. Er interessiert sich für unsere Experimente mit Licht und Farben. Jemand hat ihm den Tipp gegeben, dass in Barbizon die neue Generation Maler heranreift. Jedenfalls hat er uns besucht und war hellauf begeistert.Wir kamen ins Gespräch – wie das so ist. Ihm gefallen meine Arbeiten, mir gefiel der Mann, also habe ich sein Angebot angenommen, meine Sachen hier in Köln auszustellen. Reich werde ich nicht damit. Es ist sogar ein ziemliches Risiko damit verbunden, denn die meisten Leute verstehen nicht, was meine Kollegen und ich malen. Ich kann von Glück reden, wenn die Ausstellung überhaupt besucht wird.Verkaufen werde ich wohl nichts. Aber ein, zwei freundliche Erwähnungen in der Presse würden mir schon reichen.Viola und ich betrachten es also einfach als einen geschenkten Urlaub.«
    Was meine Aufmerksamkeit auf Mademoiselle lenkte. Sie war zurückhaltend, aber sie hatte neugierige Augen. Hübsch war sie auch. Ich wandte mich direkt an sie: »Sind Sie auch Künstlerin, Mademoiselle Martel?«
    »Bitte, ich bin Viola, ja? Und, ja, ich bin auch Künstlerin. Aber nicht Malerin.«
    »Viola ist Tänzerin. Chérie, Ariane wird keinesfalls die Nase über dich rümpfen.«
    »Nein, kein bisschen, Viola. Ich habe einige Kundinnen aus dem Theaterbereich, Schauspielerinnen, Tänzerinnen, Sängerinnen. Was mich übrigens auf eine grandiose Idee bringt. Habt ihr beide heute Abend schon Verpflichtungen?«
    »Nein.Wir leben ein wildes, unabhängiges Künstlerleben, bis im April die Ausstellung beginnt.«
    »Dann erlaubt mir, dass ich euch zu einem Theaterbesuch einlade.«

    Leander verzog den Mund, und ich wusste, was er befürchtete.
    »Nein, nein, mein liebster Bruder. Nicht Hamlet, keine Iphigenie, kein Faust und keine Räuber. Die leichte Muse will uns unterhalten. Hätte ich je eine Neigung zur Tragödie gezeigt?«
    »Hast du nicht, verzeih. Du bist unter dem Stern der Komödianten geboren.«
    »Was mich bedauerlich unfähig zur gesellschaftlich vorgeschriebenen Ernsthaftigkeit macht.«
    »Ich hörte davon, deshalb habe ich auch gar nicht erst bei Tante Caro vorgesprochen.«
    Der Kaffee war fertig, und ich stellte Tassen und Milchtopf auf den Tisch. Leander erzählte von unseren Eltern, mit denen er im vergangenen Sommer einige

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