Goldbrokat
und den Mühlen auf dem Montmartre – wild durcheinander, aber immer verbunden mit kleinen, schnellen, höchst treffenden Skizzen. Hier eine Blumenverkäuferin, da Madame la Cocotte, hier Monsieur Napoleon und dort der Obelisk vom Place Vendôme. Aber als ich ihm, nachdem die Kinder fort waren, zuflüsterte, er würde einen wunderbaren Vater abgeben, fuhr er mit einem empörten Lachen auf.
»Hör auf zu glucken, Fädchen. Das ist ein Gebiet, das ich hoffentlich nicht so schnell betreten werde.«
Es gab mir zu denken, und um ihn noch ein bisschen mehr zu reizen, fragte ich höflich nach, wie Viola denn dazu stünde.
»Liebes kleines Schwesterlein, was für eine intime Frage.«
»Lieber großer Bruder, ich habe zwei Kinder geboren, ich weiß, wie das funktioniert.«
Er wurde ernst.
»Nein, Ariane. Ich kann es mir nicht leisten, und wahrscheinlich werde ich es mir auch nie leisten können. Und warum sollte ich das einer Frau antun? Sie wüsste nie, ob genug Geld für die nächste Woche da ist, weil ich erst einmal alles für Pinsel, Leinwand und Farbe ausgebe.«
»Du fürchtest weniger um eine mögliche Frau und Kinder als um deine Bequemlichkeit. Sie könnte dir ein schlechtes Gewissen verursachen, nicht wahr?«
Seine sehr französische Geste zeigte mir, dass ich richtig lag. Aber ich insistierte nicht mehr. Wer war ich, ausgerechnet ich, dass ich ein Recht dazu gehabt hätte? Also freute ich mich einfach nur daran, zu beobachten, wie blendend sich er und meine Kinder verstanden.
Wer sich ebenfalls blendend verstand, waren Viola und LouLou. Wobei ich LouLou, die ich inzwischen ganz gut einzuschätzen gelernt hatte, eine gewisse Berechnung unterstellte. Sie hatte Viola zu ihren Tanzübungen eingeladen, und stundenlang probten die beiden miteinander. LouLou war immer begierig, neue, möglichst spektakuläre Choreographien zu lernen, und ich hatte den Eindruck, dass sie von Viola, die Bühnenerfahrung an der Oper hatte, einiges abgucken wollte.
So allmählich ging mir auf, dass Gernot und seine Schwester erstaunlich viel gemeinsam hatten. Beide waren nüchterne Menschen, die genau Vor- und Nachteile ihres Handelns abwogen und jede Leistung gegenrechneten. Gab man ihnen etwas aus freien Stücken, erhielt man den Gegenwert nach kurzer Zeit zurück. Für eine Gabe ihrerseits aber erwarteten sie eine angemessene Leistung im Gegenzug. Weshalb ich mir manchmal in stillen Stunden die Frage stellte, was LouLou von mir erwartete, denn ich war bisher vermutlich die Einzige, der sie selbstlos und ohne Grund mehr gegeben hatte als ich ihr.
Wenn der Zeitpunkt günstig wäre, würde ich sie danach fragen.
Für die Zeit, die Leanders Freundin ihr opferte, hatte sie sich dadurch revanchiert, dass sie Nona beauftragt hatte, für Viola ein Trikot zu nähen. Daher kamen die beiden kurz nach unserem ersten Besuch im Salon Vaudeville bei mir zusammen, um Maß zu nehmen und über die Verarbeitung zu sprechen. Ich hörte dem schnellen Französisch zu, mit dem die jungen Frauen sich unterhielten, und räumte die neue Stofflieferung ein. Ein Ballen war dabei, den ich exklusiv bei Gernot bestellt und auf eigene Rechnung bezahlt hatte. Es handelte sich um elfenbeinfarbene Seide mit einem filigranen Kirschblütenmuster in Schwarz. Er hatte es nicht für den offenen Verkauf weben wollen, weil es ihm zu außergewöhnlich erschien, aber ich hatte mich durchgesetzt und ihm eine ganze Partie abgenommen. Nun lag das schimmernde Material vor mir ausgebreitet und erfüllte alle meine kühnsten Erwartungen.Wie zarte Schattenrisse schwankten die Zweige über den Stoff. Schon entstand in meiner Vorstellung das Kleid, das ich daraus für mich, und nur für mich, entwerfen wollte. Mit schnellen Strichen machte ich mir eine Zeichennotiz davon. Schlicht, damit das Muster wirkte, glatt der Rock und das Oberteil, aber mit einem breiten Kragen, mit schwarzem Satin abgesetzt, der ein tiefes, schulterfreies Dekolleté enthüllte. Als besonderen Blickfang aber sah ich eine kirschrote Schärpe, die die Taille betonte.
Die Türglocke lockte mich in den Empfangsraum, und mit Leander trat auch LouLou ein.
»Welch ein Aufgebot von Grazien!«, rief mein Bruder aus und sah mich fragend an. »Darf ich mich überhaupt unter so viel schöpferischer Weiblichkeit aufhalten?«
»Wenn Sie nicht so unschmeichelhafte Karikaturen von uns machen wie gestern von einigen unserer besten Gäste«, sagte LouLou mit erhobenem Zeigefinger. Zu mir gewandt meinte sie dann: »Wir
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