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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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sie noch einmal an der chinesischen Küste Halt, denn in Hongkong sollten sie einen britischen Kolonialbeamten mit seiner Familie an Bord nehmen, der sein Engagement im Fernen Osten beenden musste, da er – aber das hatte ihm der Kapitän unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut – in die Affäre um den in Ungnade gefallenen Gouverneur, Sir John Bowring, verwickelt war. Sir Graham Woodland mit Gemahlin, Zofe, Kammerdiener, drei Kindern und Gouvernante hielt also Einzug, und bereits das erste Zusammentreffen mit dem hochwohlgeborenen Briten in der Messe brachte Drago dazu, die Anordnung zu erlassen, dass ihm das Essen zukünftig in seiner Kabine zu servieren sei. Ausgelöst hatte diese Entscheidung die ausgesprochen abfällige Art, wie der Mann sein für ihn zubereitetes Reisgericht kommentierte, das ihm von dem halbchinesischen Kajütjungen nach traditioneller Art mit Stäbchen serviert wurde. »Chink-Fraß« hatte er es genannt und gehöhnt, die Gelben würden doch alles fressen, was vier Beine habe,Tische und Stühle ausgenommen.
    Doch ganz konnte er sich der Gegenwart der Passagiere nicht entziehen. Die Silver Cloud war ein Frachtschiff und konnte nur in sehr begrenzter Form Personen befördern. Bislang waren er
und George die einzigen Reisenden gewesen, jetzt waren auch die drei anderen Kabinen belegt. Davon die neben der seinen von den beiden Töchtern des Ehepaars. Das ältere Mädchen mochte so um die dreizehn, das jüngere vielleicht zehn Jahre alt sein. Beide waren gelangweilte, streitsüchtige, verzogene Geschöpfe, die greinend um beständige Aufmerksamkeit kämpften oder sich lautstark zankten. Der Sohn und Erbe, im Alter zwischen den beiden Mädchen angesiedelt, zeigte bereits jetzt eine unerträgliche Arroganz.
    Drago, der es sich am zweiten Tag der Fahrt bereits zur Angewohnheit gemacht hatte, in seinem bequemen chinesischen Seidenanzug auf dem hinteren Deck seine qi -Übungen zu absolvieren, war das Objekt besonderen Spottes des Jungen, der Francis gerufen wurde.
    Das gelenkte Atmen in reiner, salziger Meeresluft empfand Drago als äußerst wohltuend, zum anderen stellten die bekannten Übungen auf dem schwankenden Deck eine neue Herausforderung dar. So schulte er nun sein Gleichgewicht nicht nur auf den Planken, sondern nutzte auch den Gangspill, um darauf stehend sein Schattenboxen zu vervollkommnen. Ein paar verdutzte Blicke hatte er geerntet, dem Ersten Offizier ein paar neugierige Fragen beantwortet, aber ansonsten nahm man die Schrulligkeiten des tai pan unkommentiert hin, ebenso wie seine Art, sich zu kleiden und die Weigerung, Fleisch zu essen. Francis hingegen, als er ihn entdeckt hatte, verlieh seiner Verachtung für das Andersartige Ausdruck. Beim ersten Mal vermutete Drago noch kindischen Übermut, als ihn ein abgenagter Apfelstrunk unerwartet im Genick traf. Am nächsten Tag war er jedoch schon weit ungehaltener, denn das rohe Ei richtete zwar keinen körperlichen Schaden an, verschmutzte aber seine Jacke. Danach richtete er seine Aufmerksamkeit auf den jungen Übeltäter. Dem Kohlkopf, der diesmal auf ihn geschleudert wurde, als er eine langsame Drehung auf einem Bein vollführte, konnte er mit einem raschen Sprungwechsel ausweichen. Er hätte sich auch den Jungen greifen können, unterließ es aber,
in der Hoffnung, dass das Spiel mangels Erfolg nun ein Ende haben würde.
    Wie sich zeigte, hatte er aber sowohl die Intention als auch den Erfindungsreichtum des Bengels unterschätzt. Seine Aufmerksamkeit war jedoch während seiner vormittäglichen Übungen so geweckt, dass er die kleine Bewegung hinter dem Niedergang aus dem Augenwinkel bereits bemerkte, ehe das Geschoss auf ihn zugeflogen kam.
    Er wich aus, fing den Gegenstand auf und hielt einen eisernen Belegnagel in der Hand.
    Noch keinen Lidschlag später hatte er den Jungen im Genick gepackt.
    »Lass mich los, du dreckiger Chink!«, kreischte der, aber Drago lockerte den Griff nicht, sondern drehte den Jungen so, dass er ihm voraus zur Brücke gehen musste. Er zeterte und versuchte, um sich zu schlagen, aber nichts davon zeitigte auch nur im Entferntesten Erfolg.
    Kapitän Lambert, im Gespräch mit dem Ersten Offizier, sah Drago mit einer hochgezogenen Braue an, als er den geifernden Jungen vor ihn schob.
    »Ich übergebe den jungen Herrn Ihrer Gerichtsbarkeit, Kapitän Lambert.«
    »In welcher Sache?«
    »Ein auf mich geworfener Belegnagel, zuvor diverse Lebensmittel.«
    »Sagt dem dreckigen Chink, er soll mich endlich

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