Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
Vom Netzwerk:
auf dem Mississippi ums Leben. Beachtlich aber war auch sein Weib, eine Venezianerin von – wie die Familienlegenden zu berichten wussten – teuflischem Temperament. Mochte sie auch der Grund sein, warum sein Urgroßvater so gerne lange Reisen unternahm, so musste ihre Anziehungskraft doch so groß gewesen sein, dass er immer wieder zu ihr zurückgekommen war und dabei regelmäßig seine Brut vergrößert hatte.
    Temperament und Abenteuerlust hatten einige Mitglieder der Familie übersprungen, sie hatten sich jedoch in geballter Form in Servatius manifestiert. In Drago und seinem Bruder Ignaz hatten sie sich ebenfalls eingenistet, was seinen Vater mehr als verärgert hatte. Noch mehr, als seine Mutter ausgerechnet Servatius als den Paten ihrer Söhne bestimmt hatte. Drago vermutete, dass ihre Eltern nicht eben in Harmonie zusammengelebt hatten, doch leider war seine Mutter kurz nach seiner Geburt gestorben, und das wenige, das er von ihr wusste, hatte er den Tuscheleien der Verwandten und einigen Bemerkungen Servatius’ entnommen.
    Temperament und Abenteuerlust – wie viel hatte Servatius an seinen Sohn weitergegeben?
    George saß noch immer vertieft in seine Fibel auf dem aufgerollten Tau, aber dann und wann hob er den Kopf, um nach den windprallen Segeln zu sehen, die ihn unerbittlich von seiner Heimat wegführten. Sein Temperament war ausgeglichen. Schon als Halbwüchsiger war er ein besonnener Junge gewesen, hatte ihn höflich willkommen geheißen und war ihm auf seine stille Art immer dann gefolgt, wenn er es ihm erlaubt hatte. Fünfzehn Jahre alt war er gewesen, als er seinen Vater verloren hatte, sprach ausgezeichnet Englisch und beherrschte sowohl die chinesische wie auch die europäische Etikette, hatte einen ausgeprägten Sinn für Zahlen und ein bescheidenes, fast lautloses Auftreten.

    Aber er war irgendwie immer gegenwärtig, fiel Drago jetzt ein. Also mochte der Junge, neben Intelligenz und Anpassungsfähigkeit, auch eine gute Portion Beharrlichkeit und Ehrgeiz sein Eigen nennen. Und das war ein Zeichen eines starken Willens. Den Abenteuergeist hatte er aber wohl gerade eben entdeckt, als er sich ohne Bedenken entschlossen hatte, ihm auf das Schiff zu folgen.
    Was mochte er wohl seinen Kindern mitgegeben haben? Philipp war zwei Jahre alt, ein eifriger Krabbler mit neugierigen Augen, Laura glich noch einem Stück Gemüse, als er sie verließ. Temperament, Intelligenz, Willensstärke – nun, sein starrköpfiges Weib würde ihnen davon schon eine Portion zugewiesen haben. Aber ob das gut war? Starrköpfig war sein Vater ebenfalls, und das war eine ausgesucht unangenehme Eigenschaft.
    Bevor er sich dem unliebsamen Kapitel seiner Familiengeschichte zuwenden konnte, sah er den Ersten Offizier auf sich zukommen.
    »Wir machen gute Fahrt, Mister Johnson«, begrüßte er ihn.
    »Allerdings. Die Bedingungen sind gut, und wenn wir Glück haben, umrunden wir in fünfzig Tagen das Kap der Guten Hoffnung.«
    »Wie lange schätzen Sie die Gesamtdauer der Reise? Ich las neulich, dass die neuen Klipper unter vier Monaten bleiben.«
    »Ha! Was glauben Sie, was wir uns zum Ziel gesetzt haben? Der Kapitän hat den Mannschaften einen Bonus versprochen, wenn wir die Thunder unterbieten. Und die hat hundertzwölf Tage gebraucht.«
    Der britische Seeoffizier zeigte unerwartet blitzende Augen, und Drago lachte.
    »Den Wind wird auch der Kapitän nicht bestechen können.«
    »Nein, Mister Kusan, den nicht. Aber es gehören drei Faktoren dazu, den Wettkampf zu gewinnen, das Wetter ist nur einer. Das Schiff ist der zweite, und das ist eines der besten in seiner Klasse, glauben Sie mir. Ein dritter Faktor aber ist enorm wichtig, und das ist das reibungslose Zusammenspiel
der Mannschaft. Sie werden bemerken, dass wir eine geübte Besatzung haben, bei der jeder Handgriff sitzt. Kapitän Lambert ist ein gerechter, manchmal auch durchaus harter Mann, aber die Leute achten ihn. Und das Schiff lieben sie. Keiner hat seit London abgemustert, keiner ist bisher desertiert, was ein gutes Zeichen ist. Nie würde der Kapitän mit einer schanghaiten Truppe segeln.«
    Die Matrosen turnten wie die Affen in der Takelage umher, refften hier, zurrten da, hielten das Tuch so, dass es den Wind am besten ausnutzte, das war Drago bereits aufgefallen. Schnelligkeit kam ihm entgegen, denn seit er den Entschluss gefasst hatte, heimzukehren, lag ihm viel daran, das in die Tat umzusetzen, was er sich vorgenommen hatte.
     
    Einige Tage später machten

Weitere Kostenlose Bücher