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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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loslassen«, schrie der Junge und riss sich aus dem leicht gelockerten Griff. Nur um einen schnellen, harten Schlag mit dem Finger erst auf den einen, dann auf den anderen Ellenbogen zu erhalten. Er jaulte auf vor Schmerz, konnte aber die Hände nicht mehr heben.
    »Ein Belegnagel ist durchaus geeignet, einen Menschen umzubringen, wenn er richtig trifft. Hattest du vor, Mister Kusan umzubringen, Junge?«, fragte der Kapitän mit ruhiger Stimme.
    »Die blöden Chinesen sind doch gar nicht umzubringen«, giftete der.

    »Eine bemerkenswerte Einstellung. Mister Johnson, geben Sie Befehl, den Jungen in Eisen legen zu lassen.«
    Das Protestgeheul war ohrenbetäubend.
    »Das können Sie nicht machen. Mein Vater wird Sie …«
    »Ruhe!«, sagte Drago und packte ihn wieder beim Genick. »Der Kapitän kann und wird.«
    »Ganz richtig. Auf See ist jeder in Gottes Hand, und an Bord ist der Kapitän der Stellvertreter Gottes.«
    Zwei Matrosen waren mit den Fesseln hinzugetreten, und Drago vermeinte einen Schimmer von Schadenfreude in den Augen hinter ihren unbewegten Mienen zu erkennen. Master Francis hatte sich allenthalben nicht sehr beliebt gemacht.
    »In die Bilge mit ihm.Wird dem jungen Tunichtgut vielleicht eine Lehre sein.« Zu Francis gewandt meinte er: »Der Mann, den du mit dem Ausdruck ›dreckiger Chink‹ beleidigt hast, ist zufällig ein deutscher Gentleman. Zufällig gehört ihm die Ladung des Schiffes, und zufällig hat er dieses Schiff für die Fahrt von Schanghai nach Hamburg gechartert.«
    Das machte den Jungen für eine Weile sprachlos, aber schon als die Matrosen ihn Richtung Niedergang führten, tobte er weiter.
    »Sie werden schon mit ihm fertig, die sind ganz andere Raubeine gewöhnt.«
    »Raubeine vielleicht, aber der Bengel ist heimtückisch und gehässig.«
    »Sehr wahr. Und Sie haben Glück gehabt, Mister Kusan. So ein Belegnagel kann ganz schön Schaden anrichten.«
    »Nicht Glück, Kapitän Lambert«, warf der Erste Offizier ein. »Er hat das Ding kommen sehen, ist ausgewichen und hat es gefangen. Ich habe es beobachtet. Eine ziemlich beeindruckende Leistung, Mister Kusan.«
    Drago hob die Schultern.
    »Übung. Ich hatte es erwartet. Was werden Sie mit dem ehrenwerten Sir Woodland machen? Ich fürchte, er wird in Kürze schäumend bei Ihnen vorstellig werden.«

    »Ich werde ihm einen kurzen, prägnanten Vortrag über das Seerecht halten, Mister Kusan.«
    »Ah, eine hervorragende Idee.«
     
    Der Vorfall als solcher hatte ihn nicht besonders aufgeregt, die Schlussfolgerungen hingegen schon. Denn es drängte sich ihm die Frage auf, welche Art von Erziehung seine Kinder wohl bisher genossen hatten. Seine widerwillige Gattin hatte ihre Freiheit von ihm verlangt, und das mochte wohl auch bedeuten, dass sie die Kinder los sein wollte, um ein neues Leben führen zu können. Insbesondere, um sich einen anderen, passenderen Gatten zu suchen. Dabei konnten zwei Kinder nur eine Belastung sein. Im besten Fall hatte sie die beiden zu ihren Eltern auf das Gut gebracht, wo sie in größter Freizügigkeit aufwachsen würden. Seine Schwiegereltern waren mehr als nachlässig mit ihren eigenen Sprösslingen umgegangen, weshalb seine Frau ja auch so ein störrisches, selbstsüchtiges Geschöpf geworden war. Andrerseits – so verzogen, arrogant und menschenverachtend wie Jung Francis, das würden sie dort nicht werden. Immerhin ein Hoffnungsschimmer. Sitte und Anstand würde er ihnen schon noch beibringen.Was aber, wenn sie wieder geheiratet hatte, etwa so einen eingebildeten Schnösel wie Woodland? Oder einen Mann, der den Willen der Kinder brach, einen, der sie misshandelte?.
    Gut, es war sinnlos, darüber zu spekulieren. Er würde erst Klarheit haben, wenn er seine Brut gefunden hatte.
    Doch er brauchte eine ganze Stunde konzentrierter qi -Übungen, bis er sein aus dem Gleichgewicht gebrachtes Seelenleben wieder geordnet hatte.
     
    Dem Kap der Guten Hoffnung näherten sie sich wie berechnet nach insgesamt fünfzig Tagen, und in der Zwischenzeit hatte er George Schach beigebracht, dieser ihm im Gegenzug das Mahjong-Spiel. Dabei sprach Drago konsequent deutsch mit seinem Neffen und bewunderte dessen Fähigkeit, sich Vokabeln und
Ausdrücke zu merken. Weitere Zwischenfälle mit Francis hatte es nicht mehr gegeben, dafür hatte Drago dessen dreizehnjährige Schwester mit dem Kajütjungen in einer ziemlich eindeutigen Situation entdeckt. Er behielt es für sich.
    In Kapstadt verließ die Familie Woodland mit Androhung

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