Goldbrokat
ja, wie man hört, sich auszuweiten. Es werden in Zukunft sicher häufiger auf den hiesigen Märkten derartige Exemplare erhältlich sein«, tröstete ich ihn.
»Aber zwei gleicher Machart und Muster! Aber gut, wir hängen jeder an unserem Eigentum, und ein jeder hat seine Geschichte.«
»Die allerdings eine gemeinsame Wurzel hat. Ich bin Servatius Kusan persönlich nie begegnet, er existiert für mich nur durch diesen Teppich. Erzählen Sie noch etwas mehr von ihm.«
»Madame, es ist eine sehr traurige Geschichte damit verbunden. Wollen Sie die wirklich hören?«
Drago hatte Servatius nicht sehr oft erwähnt, aber wenn, dann immer nur im Zusammenhang mit recht gewagten Erlebnissen. Umso mehr machte mich neugierig, was es Tragisches zu berichten gab. Ich bat Armand Dufour also fortzufahren.
»Unsere Beziehung zu Monsieur Kusan nahm leider einen sehr unglücklichen Verlauf. Ich verstehe es noch immer nicht recht, wie es dazu kommen konnte. Sehen Sie, wir hatten damals einen sehr erfolgreichen Kommis, einen jungen Deutschen, der bei uns in die Lehre gegangen war und dem mein Vater auf Grund seiner Fähigkeiten eine weite Handlungsvollmacht zugestanden hatte. Er … mhm …veruntreute einige Gelder und verschwand kurz darauf spurlos. Erst zwei Jahre später fanden wir heraus, dass er als Kommissionär in Marseille für Kusan tätig geworden war und dessen Importe aus dem Orient verkaufte.«
Dufour! In diesem Augenblick machte es klick in meinem Kopf. Dufour, nicht dieser junge Mann, aber sein Vater, der Seidenhändler, war mir schon einmal in einer Erzählung begegnet.
»Der junge Kommis, war das Wilhelm Stubenvoll aus Köln?
Sohn eines gescheiterten Seidenfabrikanten, der als Lehrling in Ihre Firma eintrat?«
»Ja, Madame. Wilhelm Stubenvoll nannte er sich.« Armand Dufour stolperte ein wenig über den germanischen Namen, zeigte aber sogleich großes Interesse. »Sind Sie mit ihm oder seiner Familie bekannt, Madame?«
»Sagen wir so, ich vermute, dass ich ihn einmal kennengelernt habe, allerdings unter einem anderen Namen.«
»Er hat seinen Namen geändert, aha. Nun, das sollte er wohl auch, nach dem Skandal.«
»Skandal?«
»Es war schrecklich, Madame, so schrecklich. Aber ich muss ein wenig ausholen. Sehen Sie, mein Vater war nicht mehr sehr gut auf Monsieur Kusan zu sprechen, da er glaubte, der habe unseren Kommis für sein Geschäft abgeworben. Aber mir ist der Mann immer in sehr angenehmer Erinnerung geblieben. Er hatte – ja, wie soll ich es sagen – Charisma.Wirkliches Charisma. Mein Vater starb 1827, zwei Jahre nachdem Stubenvoll uns verlassen hatte, und meine Mutter führte das Geschäft weiter. Auch sie hatte einen Narren an dem Teppichhändler gefressen. Ich glaube, er hat sie sehr beeindruckt. Er war ein wenig wild, rau und draufgängerisch.«
Ich hob fragend die Braue. Nur ein ganz kleines bisschen.
»Nein, nein, nicht, wie Sie denken, Madame. Nur einfach so, dass sie noch ein-, zweimal kleinere Teppiche von ihm kaufte und sich bei diesen Transaktionen gerne mit ihm unterhielt. Ich übrigens auch. Stubenvoll wurde dabei nie erwähnt, und mit den Jahren übernahm ich dann das Geschäft. Aber dann wurde die Lage schwierig. Anfang der Dreißiger begannen die ersten Aufstände der Seidenweber.«
»Ja, ich weiß, auch hier bei uns hat es Weberaufstände gegeben. Ich hoffe, es hat Ihrem Geschäft nicht geschadet.«
»Nein, wir sind beim ersten Mal glimpflich davongekommen. Der zweite Aufstand, 1834, aber verursachte auch uns größere Probleme; es gingen uns einige Bestände verloren. Kusan aber
traf es noch viel härter. Wir hatten gehört, dass er gerade von einer Orientreise zurückgekehrt war und seine beiden Neffen bei sich hatte. Wir luden sie ein, und ich lernte die Jungen kennen. Ignaz, ich erinnere mich, war eben zwei Jahre jünger als ich, sein Bruder sechs Jahre. Oh, was neidete ich ihnen das Abenteuer. Stundenlang saßen wir zusammen, und die beiden erzählten von den Bazaren und Moscheen, den Palästen und umtriebigen Häfen, dem Elend und Schmutz, der Pracht und der Gastfreundschaft der Orientalen. Ich wollte auch Weihrauch und Sandelholz riechen und die glutäugigen Jünglinge in ihren bunten Trachten bewundern. Ah, verzeihen Sie, ich fange noch immer an zu schwärmen.«
»Verständlich, Monsieur. Ich weiß, wie sehr meine Kinder die Ohren aufsperren, wenn sie derartige Geschichten hören.«
»Ja, die jugendliche Phantasie entzündet sich schnell und leicht. Und dennoch, das
Weitere Kostenlose Bücher