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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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rund.
    »George, in China sind eingebundene Lilienfüßchen Mode, hier sind es die weiten Röcke. Und ich bitte dich sehr zu beachten, dass die hiesigen Damen unterhalb der Taille auch nicht existieren.«
    »Ja, Cousin Drago.«
    Diese Anrede war neu und offensichtlich die einzig mögliche Form der Vertraulichkeit, die George sich selbst gestatten
konnte. Er hatte in den vier Monaten der Seereise beachtlich gut Deutsch sprechen gelernt, und als Drago ihn mit den Höflichkeitsformeln vertraut gemacht hatte, hatte er ihm angeboten, ihn beim Vornamen zu nennen. Tai pan war nicht die Anrede, mit der er ihn weiter titulieren konnte. Die chinesische Namensgebung stellte aber den Familiennamen vor den Vornamen, und daher hatte George zwar gehorcht, ihn aber ständig mit Kusan Drago angesprochen. Ein weiteres Gespräch über die Rolle familiärer Bindungen hatte schließlich zu dem fast gleichlautenden »Cousin Drago« geführt.Warum der Junge ihm so penetrant förmlich begegnete, vermochte Drago nicht zu ergründen, aber es störte ihn auch nicht weiter, also ließ er es auf sich beruhen.
    Sie waren von Hamburg aus sofort nach Braunschweig aufgebrochen und hatten hier in einem Hotel Unterkunft genommen. Gleich am zweiten Tag machte Drago sich auf den Weg, das Haus aufzusuchen, das ihm als letzte Adresse seiner störrischen Gattin bekannt war. Er wollte herausfinden, ob sie dort noch wohnte, wenngleich er keine besonders große Hoffnung hegte, sie dort anzutreffen. Aber irgendwo musste er mit der Suche anfangen, und an diesem Ort würde er zumindest die Spur aufnehmen können. Als er durch die Straßen wanderte, wurden ihm die Veränderungen bewusst, die die Stadt in den vergangenen Jahren erlebt hatte. Eine Zuckerrübenfabrik war entstanden, eine Maschinenfabrik sandte ihre schwarzen Rußwolken über den Himmel, und der Bahnhof, neu gestaltet, prunkte jetzt in klassizistischem Stil. Doch hinter der Magnikirche herrschte weiterhin beschaulich bürgerliche Ruhe. Die alten Fachwerkhäuser, manche nicht sehr gut instand gehalten, beugten sich wie damals über das Kopfsteinpflaster. Das Häuschen, in dem sie vor Zeiten gewohnt hatten, war vergleichsweise bescheiden. Als junger Rechtsanwalt hatte er noch kein großes Gehalt bezogen, und die Mitgift seiner Ehefrau war für die Möblierung verwendet worden.
    Inzwischen hatte das Gebäude aber einen neuen Anstrich
erhalten, die Fenster blinkten frisch geputzt im Mittagslicht, und neben dem Messingklopfer stand auf einem Metallschild der Name Adalbert Sperber. Hatte sie wieder geheiratet? Oder wohnte eine andere Familie in dem Haus? Während er noch ein wenig zögernd vor dem Eingang stand, ertönte eine harsche Frauenstimme aus dem oberen Stockwerk, ein Klatschen folgte und dann das schmerzliche Weinen eines Kindes.
    Gut, Kinder mussten manchmal ihre Grenzen aufgezeigt bekommen, aber diese kleine Demonstration mütterlicher Gewalt verärgerte ihn unwillkürlich.
    Sie wohnte offensichtlich noch hier, mitsamt seinen Kindern.
    Energisch betätigte er den Türklopfer.
    Eine Frau in schwarzem Kleid und weißer Schürze öffnete ihm und fragte nach seinem Begehr.
    »Ich würde gerne die Dame des Hauses sprechen. Melden Sie mich bitte an«, sagte er und reichte der Bediensteten seine Karte. Ohne ein Zeichen des Erkennens las sie sie und bat ihn, in den Vorraum einzutreten.
    »Worum geht es, bitte?«
    »Um eine Familienangelegenheit.«
    Kurz darauf kam sie zurück.
    »Wenn Sie mir bitte folgen würden, Herr Kusan. Die gnädige Frau ist bereit, Sie zu empfangen.«
    Es würde eine herbe Überraschung für sein abtrünniges Weib werden, und mit einer gewissen Genugtuung betrat er den Salon, den er vor Jahren nach einem lautstarken Streit zornentbrannt verlassen hatte.
    Sie war rundlich geworden, war sein erster Eindruck; der zweite sagte ihm, dass er einem grundlegenden Irrtum aufgesessen war.
    »Herr Kusan?«
    »Gnädige Frau, ich …«
    »Geht es um meinen Bruder, Herr Kusan? Hat er sich schon wieder mit seinem Nachbarn angelegt? Diesmal werde ich ihm nicht zu Hilfe kommen, lassen Sie sich das gleich gesagt sein.«

    »Frau Sperber, ich muss mein Eindringen bei Ihnen entschuldigen. Zu Ihrem Bruder kann ich Ihnen bedauerlicherweise keine Auskünfte erteilen, ich vermutete eine andere Familie hier wohnhaft.«
    Jetzt sah die Dame ihn verwirrt an. »Aber Sie sagten Dorte doch, Sie seien in Familienangelegenheiten hier?«
    »Ja, Angelegenheiten meiner Familie. Gestatten Sie mir eine kurze

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