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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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tupfte höchst eigenhändig mit seinem Taschentuch an der feuchten Stelle herum, während er wortreich mit Eustache haderte. Der kleine Mops saß auf seinem Hinterteil, und sein faltenreiches Gesicht drückte
ebensolche Betroffenheit aus wie das seines Herrn. Wider Willen erheiterte mich das und linderte damit die Trauer um die Brüder Kusan ein wenig.
    Unter zahlreichen Entschuldigungen verabschiedete Armand Dufour sich kurz darauf von uns, stopfte Eustache in die Paletot-Tasche und versicherte mir, die Aufträge so schnell wie möglich auszuführen.
     
    Nona war nachdenklich geworden. Sie hatte nur ein halbes Glas Wein ausgetrunken und schwenkte den Rest nun still in ihrem Glas herum.
    »Es hat dich auch aufgewühlt, Nona, nicht wahr?«
    »Ja, Madame Ariane. Aber aus einem anderen Grund. Wissen Sie, ich habe schon oft überlegt, was für einen Grund dieser Mann damals hatte, als er mit den Matelots Charnays Gut überfiel. Und was ich heute erfahren habe, könnte einen Hinweis darauf geben.«
    »Wirklich? In welcher Weise?«
    »Nun, er wollte ihn in dem Seidenraupen-Schuppen verbrennen lassen.«
    »Oh – ja, natürlich.«
    »Und er hat ihm die ganze Rohseide gestohlen. Als Wiedergutmachung, hatte er gesagt.«
    »Ich verstehe.«
    »Und er war ein Mann, der sich mit den Seeleuten auskannte und viele fremde Länder und Sitten kannte.«
    »Du glaubst, es könnte Servatius Kusan gewesen sein, der diesen Überfall organisiert hat?«
    »Wäre das nicht vorstellbar, Madame Ariane?«
    »Sehr vorstellbar. Ich habe diesen Servatius nie kennengelernt, aber aus den Erzählungen, die ich bisher gehört habe, könnte das seine Art zu handeln gewesen sein.«
    »Sie haben nicht zufällig ein Bild von ihm?«
    »Nein, Nona. Ich habe … Ich habe nur ein Bild von meinem Gatten. Aber angeblich sahen sie sich ähnlich.«

    Ich ging in mein Schlafzimmer und holte die Daguerrotypie. Nona betrachtete sie sehr genau und nickte dann.
    »Ein bisschen wilder vielleicht, aber sehr ähnlich. Ja, ich glaube, der Mann war jener Servatius Kusan.«
    »Was wiederum ein sehr erhellendes Bild auf Charnay alias Stubenvoll wirft. Ein schlechtes Gewissen schlägt oft in Hass auf den Auslöser um. Wie verärgert muss er gewesen sein, als ich Dragos Antrag dem seinen vorgezogen habe.«
    Und um einiges interessanter würde die neueste Entwicklung unter der Kenntnis dieser Umstände sein.
    Denn wie herzlich würden Charnays Glückwünsche ausfallen, wenn er erfuhr, dass Gernot und ich uns mit Heiratsabsichten trugen?
    Aber wozu sich jetzt Sorgen machen? Zwischen Servatius und Charnay bestand aus gutem Grund eine Fehde.Wenn Dufours Schilderung stimmte, trug Charnay zumindest indirekt Schuld an Ignaz’Tod. Das mochte Servatius, der, soweit ich mich erinnern konnte, Mitte der Dreißigerjahre nach China aufgebrochen war, zu einer lange geplanten Racheaktion bewegt haben. LouLou hatte ihn 1846 getroffen. Und Nona?
    »Nona, weißt du noch, in welchem Jahr Servatius das Gut überfiel?«
    »Ich war vierzehn, Madame. Das war 1846.«
    »Dann ist es fast sicher, dass er es war. Er hielt sich in diesem Jahr zum letzten Mal in Europa auf.«
    Zwei Jahre bevor ich Charnay getroffen hatte. Damals musste die Wut noch heiß in ihm gelodert haben. Aber nun waren sowohl Servatius als auch Drago tot, und mit Gernot verband ihn nur eine geschäftliche Beziehung. Also konnte ihm die Angelegenheit im Grunde ziemlich gleichgültig sein.

Väterliche Gefühle
    Der Herrscher muß ein Herrscher,
der Minister ein Minister,
der Vater ein Vater
und der Sohn ein Sohn sein.
     
    Konfuzius
    Es belustigte Drago heimlich, mit welch mannhaftem Stoizismus George Liu seine Verwunderung zu verbergen versuchte. Er erinnerte sich selbst noch viel zu gut daran, wie sehr ihn die fremde Welt Chinas fasziniert hatte, als er vor acht Jahren in Schanghai eingetroffen war. Ebenso wie jetzt sein Neffe hatte er die für ihn ungewohnte Architektur, die fremdartige Kleidung, den völlig anderen Singsang der Sprache, die exotischen Gerüche und die seltsamen Sitten bestaunt. Aber wenigstens hatte George schon im europäischen Settlement Kontakt mit Franzosen, Engländern und Preußen gehabt, aber wie es schien, wirkten vor allem die ballonartigen Reifröcke der Damen höchst befremdlich auf ihn. Er versuchte, sie nicht zu deutlich anzustarren, aber immer wenn eine Frau mit diesen überdimensionalen, umgedrehten, schwankenden Körben an der Taille vor ihm herging, wurden seine schmalen Augen beinahe

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