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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Ende ist schrecklich. Eine zweite Welle von Rebellion ergriff unsere Stadt, und diesmal gab es Straßenschlachten mit dem Militär,Tote und Verwundete. Der Zorn der Aufständischen wurde durch das ungeschickte Vorgehen der Verantwortlichen noch weiter angestachelt, es wurde geplündert und es wurden Brände gelegt. Einer davon betraf das Lagerhaus des Teppichhändlers. Das Schicksal wollte es, dass er, Stubenvoll und die Jungen sich just zu diesem Zeitpunkt dort hineingeflüchtet hatten.«
    Ich glaube, ich hatte vergessen zu atmen. Drago hatte nie von einem Bruder gesprochen, und doch musste er wohl bei diesem Brand dabei gewesen sein. Ich unterbrach Armand Dufours Bericht.
    »Hieß der jüngere der Brüder Drago, Monsieur?«
    »Ja, Madame!«
    Nona stieß einen Laut der Überraschung aus.
    »Sie kennen ihn ebenfalls, Madame?«
    »Erzählen Sie weiter, bitte. Ich erkläre es Ihnen nachher.«
    »Ja, nun gut, ich habe es in seiner ganzen Tragweite erst nach und nach erfahren. Einen Teil von dem Teppichhändler selbst, einen
anderen von Augenzeugen. Sie wollten das brennende Gebäude verlassen, aber ein Dachbalken brach nieder und klemmte Ignaz ein. Kusan und der jüngere Bruder versuchten ihn zu retten, doch der Balken war zu schwer. Wie es schien, hatte Stubenvoll derweil die Gelegenheit genutzt, einen mit Ware beladenen Wagen zum Tor zu zerren, statt zu helfen. Und als er das Tor öffnete, entfachte der Luftzug die Glut zu einem Höllenfeuer. Der Junge kam darin um, die beiden anderen konnten sich retten.«
    Ich war entsetzt, schlichtweg entsetzt.
    Nie hatte mir Drago von diesem Unglück berichtet. Auch nicht von der Reise, die er als Knabe mit Servatius zusammen unternommen hatte. Es musste ihn zutiefst getroffen haben, so tief, dass er mit niemandem darüber reden konnte. Das Grausen schlich sich langsam in mein Gemüt. Er hatte seinen Bruder unter dem brennenden Balken sterben sehen. Ein entsetzlicher Todeskampf, dem er und sein Pate hilflos zusehen mussten.
    Ein Unglück, bei dem Wilhelm Stubenvoll ihnen nicht geholfen, sondern durch Dummheit oder Absicht sogar noch das Feuer verstärkt hatte.
    »Guillaume de Charnay!«, sagte ich, und meine Stimme klang sogar für mich selbst hasserfüllt.
    Dufour sah mich fragend an.
    »Charnay, Seidenbauer in der Nähe von Lyon.«
    »Ja, ich kenne ihn flüchtig.«
    »Geborener Wilhelm Stubenvoll.«
    Jetzt war es an Dufour, entsetzt die Augen aufzureißen.
    »Das habe ich nicht geahnt. Madame, das ist ja entsetzlich. Ich werde umgehend jeden Kontakt mit ihm einstellen. Und auch meinen Freunden dazu raten.«
    Ich nickte und erzählte ihm, soweit mir bekannt, den Werdegang des Seidenbauers, wobei Nona einige streng zensierte Kapitel hinzufügte. Ich hatte allerdings den Eindruck, dass Monsieur die unausgesprochene Botschaft recht gut verstand.
    »Mesdames, ich bin Ihnen für diese Aufklärung sehr dankbar.
Ich werde dafür sorgen, dass diese Informationen an die richtigen Stellen gelangen. Man wird Charnay sicher nicht mehr seines Verbrechens anklagen können, aber er hat sich in meinen Augen gesellschaftlich vollkommen disqualifiziert.«
    Dufours Empörung tat mir gut, denn ich fühlte mich angesichts der damaligen Katastrophe schrecklich hilflos. Und schmerzlich wurde mir bewusst, dass das Mitleid, das ich für Drago nun verspürte, keinen Resonanzboden mehr hatte. Ich war nicht mehr in der Lage, ihm zu sagen, wie sehr ich seinen Schmerz mitfühlte. Drago war tot.
    Ich räusperte mich und nahm noch einen Schluck Wein.
    »Eine Erklärung schulde ich Ihnen noch, Monsieur Dufour. Drago Kusan war mein Gatte. Aber von diesem Ereignis hat er nie gesprochen.«
    »Madame!«
    Armand Dufour nahm meine Hand und hielt sie lange fest, ohne etwas zu sagen.
    Die gefühlsträchtige Stimmung hatte uns alle die Bedürfnisse eines hilflosen Geschöpfes vergessen lassen, und erst als Nona aufschreckte und laut: »Pfui, Eustache!« rief, bemerkten wir das möpsische Elend. Da war das Malheur aber schon passiert, und Armand Dufour brach in eine flatternde Entschuldigungsorgie aus.
    Nona sprang schon auf, holte Wischtuch und Wassereimer und kniete nieder, um den Fleck aus dem Teppich zu entfernen.
    »Grämen Sie sich nicht, Monsieur. Das wilde chinesische Meer hat auch schon umgeworfene Kakaotassen, marmeladenbestrichene Butterbrote, tote Mäuse und ähnliche Un- und Überfälle unbeschadet überstanden. Ich vermute, das spricht für die Qualität der Ware.«
    Aber er kniete schon neben Nona und

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