Goldbrokat
Wissen über die geschäftlichen und örtlichen Gegebenheiten, vor allem aber die chinesische Mentalität und Etikette, von Nutzen sein zu können. Seine diesbezüglichen Schreiben an die entsprechenden Ministerien waren mit großem Interesse aufgenommen worden, und er hatte die Einladung erhalten, sich in der Hauptstadt mit einigen der Expeditionsteilnehmer zu treffen und sie persönlich über die Lage im Fernen Osten zu informieren.
George, der sich in Braunschweig allmählich mit der deutschen Kultur und dem Alltagsleben vertraut gemacht hatte, wollte dennoch nicht alleine zurückbleiben. Er sprach es zwar nicht aus, aber Drago hatte gelernt, in seinen meist unbewegt freundlichen Zügen einige Nuancen zu deuten. Also kaufte er Fahrkarten für sie beide, und während der Reise nach Berlin
überlegte er, ob es nicht sogar von Vorteil sein könnte, den jungen Mann zu seinen Unterredungen im Ministerium mitzunehmen. Die Begleitung eines gebildeten Halbchinesen mochte seinen Worten noch mehr Nachdruck verleihen. Außerdem, vermutete er, würde George die Neugier am Exotischen auch bei verknöcherten preußischen Beamten wecken.
Er versuchte dem Jungen seine Intention klarzumachen, und auf seine verschlungene Art des Denkens verstand George.
»Ich bin wie große Gesandtschaft bei Mandarin, nicht wahr?«
»Ganz genau. Nur dass wir dich hier nicht in eine Sänfte stecken und Gongs vor uns hertragen lassen. Das würde denn doch sehr befremdlich wirken.«
Durch diese Entscheidung allerdings wurde George Zeuge einer sehr unerfreulichen Begegnung.
Denn sein Hilfsangebot an die Herren des Deutschen Zollvereins und die preußische Regierung war nicht der einzige Grund, warum Drago Berlin aufsuchen wollte. In den langen Monaten im Kloster von Hanshan, in denen er mit den Geistern der Vergangenheit gerungen hatte, war ihm auch der Gedanke gekommen, seinen Vater noch einmal aufzusuchen und seinen Frieden mit ihm zu machen. Nach Ignaz’ Tod hatte er Servatius das Haus verboten und ihm selbst jeden Kontakt zu seinem Paten untersagt. Zwölf Jahre hatte er sich daran gehalten, dann war Servatius 1846 zurückgekehrt und hatte Drago in Köln aufgesucht. Gut, seinem Vater hatte er nichts davon berichtet, aber irgendjemand musste es ihm hinterbracht haben. Ein Brief mit Drohungen und Befehlen erreichte ihn, den er zornig in den Kamin geworfen und nie beantwortet hatte. Erst als seine Verlobung angekündigt worden war, hatte er seinem Vater wieder geschrieben. Die gewählte Verbindung stieß aber ebenfalls auf Missfallen, der Hochzeit war sein Vater demzufolge auch ferngeblieben. Den endgültigen Bruch hatte schließlich seine Nachricht ausgelöst, dass er nach Servatius’ Tod seine Erbschaft in China anzutreten gedachte. Über die Trennung von seinem
starrköpfigen Weib hatte er jedoch nichts verlauten lassen.Trotz allem hatte er ihr das nicht antun wollen.
Natürlich hatte er gleich nach seiner Ankunft in der Hauptstadt Erkundigungen eingezogen und ziemlich schnell herausgefunden, dass sein Vater inzwischen als Geheimer Rat im Handelsministerium tätig war. Damit konnte er also ein Unternehmen mit dem anderen verbinden.
Der Zufall wollte es, dass Geheimrat Kusan ihm just in dem Augenblick im Gang zwischen den Bureaus begegnete, als er sich auf dem Weg zu der Besprechung mit dem Grafen zu Eulenburg befand, der als Expeditionsleiter der preußischen Delegation ausersehen war.
Drago blieb stehen und verbeugte sich gemessen.
»Herr Vater, ich bin erfreut, Sie gleich hier anzutreffen. Ich nehme an, Sie haben meine Nachricht erhalten?«
Sehr hochmütig wurde er von dem grauhaarigen Herrn durch die runde Brille gemustert, dann sagte der kalt: »Ich kenne Sie nicht. Belästigen Sie mich also nicht.«
Er wollte weitergehen, doch mit einer kaum merklichen Bewegung versperrte Drago ihm den Weg.
»Sie kennen mich sehr wohl, Herr Vater, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn wir uns unter vier Augen unterhalten könnten.«
Wieder versuchte der Geheimrat an ihm vorbeizukommen, und wieder wurde ihm der Weg versperrt. Diese kleine Scharade dauerte beinahe eine Minute, dann drehte sich der alte Kusan um und wollte in die entgegengesetzte Richtung gehen. Hier aber standen zwei Herren, die die Auseinandersetzung neugierig verfolgt hatten. Drago nahm es zum Anlass, noch einmal seine Bitte zu äußern.
»Ihr Sohn, Kusan?«, fragte einer der Herren. »Ich wusste gar nicht, dass Sie noch Familie haben.«
»Ich habe keine Familie mehr«, zischte
Weitere Kostenlose Bücher