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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Form.«
    »Ich habe erst einmal einen japanischen Holzschnitt gesehen und dann natürlich den chinesischen Teppich bei Ariane. Es würde mich ungeheuer reizen, mehr davon kennenzulernen. Du hast nicht zufällig ein paar Bilder chinesischer Künstler mitgebracht, Drago?«
    »Zufällig, Leander, habe ich in meiner Tasche gerade heute zwei Bilder dabei. Ich lernte in Suzhou einen Maler kennen, Xu Gu, mit dem ich mich einige Zeit unterhalten habe. Von ihm habe ich eines erworben, das andere stammt von einem wandernden Künstler.«
    George hatte die Tasche hereingebracht, die Drago zuvor im Eingangsbereich stehen gelassen hatte, und reichte ihm die beiden Seidenrollen. Mit beinahe andächtiger Geste entrollte Leander die erste Zeichnung. Drei Eichhörnchen spielten im Geäst einer Kiefer. Lebendig, neckisch, zum Greifen nah.
    »Nur ein Ast, nur drei Tierchen. Das sollte sich unsereins mal wagen. Du hast recht, George, im Vergleich dazu sind unsere Bilder viel zu voll. Und sagen doch viel weniger.«
    Das zweite war sogar noch dürftiger, eine weiße, sehr feine Seide, auf der lediglich ein mit Virtuosität hingeworfener schwarzer Ast angedeutet war, ein Pinselstrich nur, auf dem fünf rote Kleckse saßen. Die aber waren sehr klar und eindeutig als Rotkehlchen zu erkennen.
    »Hinreißend.Vollkommen hinreißend. Drago, wann fährst du wieder? Würdest du in Erwägung ziehen, mich mitzunehmen?«

    »Wenn du es wünschst, Leander, dann kannst du mich begleiten. Aber wann ich fahre, das kann ich dir nicht sagen. Das hängt jetzt von verschiedenen Dingen ab.«
    Und von einem völlig veränderten Blick auf sein zukünftiges Handeln. Denn aller Ballast war abgefallen und hatte die reine Form zurückgelassen.

Seidener Tod
    … der Strang von Seide
War mir bestimmt!
     
    Ferdinand Freiligrath, Die seidne Schnur
    Nona beobachtete. Es war ihr zur zweiten Natur geworden, zu beobachten – verborgen hinter den Kulissen, unbeachtet in den Garderoben, kaum wahrgenommen im Foyer, unauffällig auf den Straßen. Ihr ungewöhnliches Aussehen, mit dem sie früher die Aufmerksamkeit, meist in unliebsamer Form, auf sich gelenkt hatte, hatte sie gelehrt, sich so wenig sichtbar wie möglich zu machen. Sie trug Kleider in gedeckten Farben, verhüllte ihre Haare oft mit einem Tuch und bewegte sich lautlos. Aber vielleicht war es auch eine Art innerer Haltung, die nichts nach außen dringen lassen wollte. Sie ruhte in sich selbst, nahm auf, was sie erblickte, und hörte, was um sie herum erzählt wurde, aber sie reagierte nicht darauf. Deshalb übersah man sie gerne.
    Sie war zufrieden damit, denn sie besaß alles, was sie sich im Leben je erträumt hatte. Ein sicheres Zuhause und eine Arbeit, für die sie Anerkennung fand, schöne Seidenstoffe, die ihren Händen schmeichelten. Sie genoss Lob und Zuneigung und – was für ein Wunder! – liebevolle Zärtlichkeit und Vertrauen.
    Darum beobachtete sie.
    Um die Liebe zu hüten, zu schützen und zu bewahren.
    Das Theater leerte sich, hinter dem Vorhang wurden die Requisiten eingesammelt und die Kulissen für die Aufführung am nächsten Tag zurechtgeschoben. Die Serviermädchen sammelten die Gläser und leeren Flaschen ein, warfen die verwelkten
Blumen in Abfallkörbe und falteten die Tischdecken zusammen. Es funktionierte alles reibungslos in LouLous Salon Vaudeville. Die Musiker schwatzten noch beim Klavier mit Melisande, die immer allerlei Wissenswertes aufschnappte und bereitwillig weitergab. Sie hatte lange Zeit als Straßenmusikantin ihr Brot verdient und kannte sich in einer Welt aus, die den gutbürgerlichen Gästen vermutlich fremder war als das Gesellschaftsleben der Ameisen. LouLou hatte sie zwar fest engagiert, fast vom ersten Tag an, aber noch immer tingelte die Sängerin an zwei, drei Tagen durch Köln. Sie behauptete zwar, sie täte es, weil es ihr Spaß machte, aber Nona ahnte, dass es ihr auch um das Geld ging. Sie war eine eigenartige Frau, frech, fröhlich, überschwänglich und großherzig auf der einen Seite, auf der anderen aber auch stur und erbittert in ihrer Ablehnung. Hilfe gab sie, nahm sie aber nicht gerne an. Einmal hatte Nona beobachtet, wie sie Frau Julia Waldegg eine böse Abfuhr erteilte, ja mitten im Raum völlig konsterniert hatte stehen lassen. Irgendjemand munkelte, Julias Mutter und Melisande seien einst gute Freundinnen gewesen. Zwischen ihnen sei es aber zum Bruch gekommen, und sie verkehrten nicht mehr in denselben Kreisen.
    Die vier Tänzerinnen durchquerten

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