Goldbrokat
dieses Kleid auch noch eine Woche länger warten können.«
»Nun ist es aber fast fertig.«
Ich nahm noch ein paar kleine Korrekturen am Saum vor, als die Türglocke bimmelte. Ich verließ den Anprobenraum und fand Gernot auf der Schwelle.
»Guten Tag, Ariane. Komme ich ungelegen?«
»Aber nein, ich bin mit meiner letzten Anprobe fast fertig. Ihre Schwester ist hier.«
»Ah, Louise. Schön, mit ihr wollte ich auch noch sprechen. Aber zunächst einmal möchte ich Ihnen das hier abliefern.«
Er winkte einen Gehilfen herein, der mir einen in Leinen gewickelten Ballen Stoff auf den Tisch legte.
Natürlich war ich neugierig und schlug die Umhüllung auf. Es war hinreißend – mein Herbstlaubmuster, das ich dem japanischen Kimono entlehnt hatte, leuchtete mir in warmen goldenen, roten und braunen Farben entgegen, doch erst die blassblauen und violetten Blättchen dazwischen machten es zu einem umwerfend lebendigen Bild.
»Ich glaube, das wird ein Erfolg, Ariane. Bisher haben alle, die es gesehen haben, sich bewundernd geäußert.«
»LouLou?«
LouLou hatte ihr Straßenkleid wieder angezogen und kam zu uns, wobei sie noch die letzten Knöpfe am Hals schloss.
»Ah, Gernot, nett, dich zu sehen. Deine neueste Lieferung?«
»Gefällt es dir?«
LouLou betrachtete den Stoff, nahm ihn zwischen die Finger und nickte dann. »Für dich werden die Farben in Ordnung sein, Ariane. Web es mir in Grau und Schwarz mit roten und gelben Blättern, dann nehme ich dir die Länge für ein Kleid davon ab.«
»Das werde ich sicher nicht machen, Louise. Ich denke, diese Farben behalte ich erst einmal bei.«
Ich musste LouLou insgeheim zwar recht geben, sagte aber nichts dazu. Gernot war eben sehr konservativ in seinen Vorstellungen.
»Wir sind fertig, und ich schließe das Atelier jetzt. Darf ich euch beide auf eine Kanne Tee und Früchtebrot einladen?«
LouLou warf einen Blick auf die Uhr, die an einer goldenen Halskette hing, und nickte.
»Eine halbe Stunde habe ich auch noch Zeit, dann muss ich zu einer Versammlung«, sagte Gernot, und beide folgten mir nach unten in die Küche.
»Julia Waldegg hat mich gestern gefragt, ob ich morgen Abend mit ihr zum Konzert des Männergesangsvereins gehen möchte, Gernot. Hätten Sie wohl Zeit, mich zu begleiten?«
»Wäre das Frau Waldegg denn genehm?«
»Sie und ihr Mann haben ihre guten Freunde eingeladen, zwanglos mit ihnen auszugehen. Julia hat Sie ausdrücklich erwähnt, Gernot.«
»Nun gut, dann will ich Sie gerne begleiten.« Er lächelte mich überraschend liebevoll an. »Ich bin sicher, dass Sie die Gelegenheit nicht ungenutzt werden verstreichen lassen, eine Ihrer zauberhaften Kreationen vorzuführen. Ich werde, wie immer in Ihrer Begleitung, ein vielbewunderter Mann sein.«
»Mein lieber Bruder, wie charmant du sein kannst.«
»Mein lieber Gernot, was halten Sie davon, auch Ihrer Schwester ein so hübsches Kompliment zu machen?«, neckte ich ihn ebenfalls.
»Gerne, Louise. Du bist eine attraktive Frau, und ich wundere mich eigentlich, warum du nicht in Erwägung ziehst, einen ehrbaren Mann zu heiraten.«
LouLou schnaubte verächtlich.
»Erstens, lieber Bruder, möchte ich den ehrbaren Mann sehen, der eine Frau mit meiner Vergangenheit heiraten wollte; zweitens habe ich überhaupt kein Verlangen nach einem Mann, weder ehrbar noch schandbar. Ich will nicht leugnen, dass Männer ihren Nutzen haben – um Holz zu hacken, Droschken zu rufen oder schwere Lasten zu tragen. Für persönlichere Belange jedoch habe ich für sie keinerlei Verwendung. Ich verdiene mein Geld mit meinem Unternehmen und bin gottlob auf keinen Mann mehr angewiesen. Und so wird es auch bleiben.«
Ich goss den Tee ein und reichte das aufgeschnittene Früchtebrot herum. LouLous geradezu leidenschaftliches Unabhängigkeitsplädoyer überraschte mich ein wenig. Ich dachte bisher, sie sei männlicher Zuneigung gegenüber nicht abgeneigt.Wählerisch war sie sicher, diskret ganz gewiss. Aber ein geradezu keusches Leben konnte ich mir bei ihr eigentlich gar nicht vorstellen. Andererseits – wahrscheinlich hatte sie vom männlichen Geschlecht tatsächlich genug. Ihre diesbezüglichen Erfahrungen waren ja nicht die besten.
Gernot wirkte leicht indigniert, da seine freundlich gemeinte Bemerkung so abgeschmettert worden war, sagte aber weiter nichts dazu, sondern aß mit Bedacht sein Früchtebrot.
»Die Einweihung der Eisenbahnbrücke hat euch sicher eine Menge Besucher beschert?«, fragte ich daher nach,
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