Goldbrokat
schwatzend und lachend den Zuschauerraum. Sie hatten sich noch einmal frisiert und geschminkt, vermutlich waren sie mit ihren Verehrern verabredet. LouLou schätzte es zwar nicht, aber sie hatte eingesehen, dass sie nichts dagegen tun konnte. Die Mädchen zeigten höchst aufreizend ihre Beine auf der Bühne, was die Herren im Publikum zu der Annahme verleitete, sie seien eine leichte Beute für ihre Aufmerksamkeiten. Die Mädchen wiederum genossen die Bewunderung und ließen sich leichtherzig auf kleine Abenteuer und Affären ein. Hin und wieder gab es gebrochene Herzen, Eifersuchtsdramen, wütende Racheschwüre oder elegischen Liebeskummer. Das ganze Spektrum der leidenschaftlichen Ausbrüche hatte die stille Beobachterin kennengelernt. Keiner davon war aber je an das Leid herangekommen, das Madame Ariane im Frühjahr durchlebt hatte. Nicht auch nur im
Entfernten dem ähnlich, das sie selbst einst durchlitten und nun hinter sich gelassen hatte. Dank ihrer gütigen Freundin.
Also blieb sie unsichtbar und mischte sich nicht ein. Die Wunden der anderen waren denn auch oberflächlich und heilten von alleine, meist genau in dem Augenblick, in dem ein neuer Galan auftauchte.
Die Serviermädchen verließen ebenfalls das Theater, weit müder und viel weniger unternehmungslustig als die Tänzerinnen, die Musiker folgten ihnen, hinter den Kulissen wurde es still. LouLou würde in ihrer Garderobe ein heißes Bad nehmen, sich die Schminke aus dem Gesicht waschen und die Haare ausbürsten. Ein Ritual, bei dem sie alleine gelassen zu werden wünschte. Danach würde sie, in einem leichten Straßenkleid, die Runde durch das Theater machen, nachschauen, ob alles an seinem Platz stand, die Lichter gelöscht, die Fenster und Türen verschlossen waren. Dann würden sie gemeinsam nach Hause gehen und dabei über die Eindrücke sprechen, die sie im Verlauf des Abends gesammelt hatten. Das war die schönste Zeit des Tages für Nona. LouLou schätzte ihre Beobachtungsgabe, hörte sich gerne an, wie sie die Reaktionen des Publikums auf die Leistung der Akteure beurteilte, nahm die allfälligen Querelen des Personals untereinander zur Kenntnis und erzählte von ihrer Seite aus, was sie zu ändern, zu verbessern oder zu streichen gedachte.
Jetzt brannten nur noch zwei Gaslampen am Eingang, das Theater war leer, die Stühle für die Putzfrauen am Morgen hochgestellt.
Und da kamen sie wieder.
Wenn es möglich gewesen wäre, hätte Nona sich noch weit unsichtbarer gemacht, als sie sowieso schon war. Es gelang ihr entlang der schattigen Wände zum Ausgang zu huschen und dort hinter einem künstlichen Zitronenbaum zu verschwinden. Vier bullige, vierschrötige Männer standen im Zuschauerraum und sahen sich prüfend um. Sie mochten Bierkutscher oder
Preisboxer, Hafenarbeiter oder Fleischhauer sein. Ihre Kleidung war derb, ihre Gesichter von Schlägereien gezeichnet.
Das dritte Mal waren sie nun schon hier, und jedes Mal hatte LouLou sich eingefunden, ruhig einige Worte mit ihnen gewechselt und ihnen dann einen Beutel in die schwieligen Hände gedrückt.
Erwähnt hatte sie die Männer ihr gegenüber nie, und sie hatte auch nie gefragt.
Sie wusste, was sie wollten.
Melisandes reicher Fundus an Wissen über die Gesetze der Unterwelt reichten ihr, um sich auszumalen, was passieren würde, wenn LouLou das Schutzgeld nicht bezahlte. Die Männer waren bereit, das Theater in kürzester Zeit zu verwüsten. Zerbrochene Möbel, zersplitterte Gläser und Flaschen, zerrissene Vorhänge, zerschlagene Kulissen und Musikinstrumente – natürlich, man konnte alles ersetzen, aber es kostete Zeit und Geld, bis alles wieder gerichtet war. Und schlimmer, es ergab sich daraus natürlich auch der Verdienstausfall, weil das Theater geschlossen bleiben musste. Sie waren auch, wie sie aus der Schlägerei im vergangenen Herbst wusste, bereit, LouLou noch weit Schrecklicheres zuzufügen. Diese Vorstellung trieb Nona die bittere Galle in die Kehle.
Bisher zahlte LouLou anstandslos den Preis dafür, von diesen Überfällen verschont zu bleiben. Sie hätte zwar zur Polizei gehen und die Erpresser anzeigen können, aber nachdem Nona erlebt hatte, wie sich die Obrigkeit nach dem ersten Tumult verhalten hatte, empfand sie tiefstes Verständnis dafür, dass LouLou diesen Schritt scheute. Man würde ihr wenig helfen, möglicherweise sogar wieder die Konzession entziehen, weil sie eine Gefährdung der Öffentlichkeit darstellte. Sie erinnerte sich noch gut, welche
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