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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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schweigend mit dem weichen Bleistift. Dann riss er das Blatt ab und reichte es Drago.
    Es war nicht so wie bei den Kindern. Nicht dieses sanfte Zusammenführen der Verbindungen. Es war, als habe ihm jemand unerwartet und mit großer Gewalt die Faust in den Magen geschlagen.
    Oder ihm ein Messer ins Herz gestoßen.
    Ariane. Sein eigensinniges Weib.
    Die Mutter seiner Kinder.
    Die kleine Tigerin.
    »Wo ist sie, Leander?«
    »In Köln, bei unserer Tante Caro. Oder besser, die Kinder sind dort.«
    »Erzählst du mir bitte mehr von ihr?«
    »Was hast du vor, Drago?«
    Einen Moment schwieg er, nicht, weil er auch nur den geringsten Zweifel gehabt hätte, was zu tun war, sondern weil er die richtigen Worte suchte, um es verständlich auszudrücken. Dann strich er mit dem Finger über das Blatt, dort, wo sich in der Zeichnung ihre Wange rundete.
    »Wenn nötig, zu Kreuze kriechen.«
    »Gut, dann hör zu.«
    Was er in der nächsten halben Stunde erfuhr, war alles andere als beglückend. Dann stellte er seine Fragen.
    »Was ist mit euren Eltern geschehen? Warum haben sie Ariane und die Kinder nicht unterstützt?«
    »Weil sie pleite waren, Drago. Die Missernten, dann brannte die Scheune mit der gesamten Ernte ab und derVerwalter suchte das Weite,Vater musste die Pferde verkaufen und bekam einen
faulen Wechsel angedreht. Kurzum, es blieb ihnen nichts anderes übrig, als das Gut zu verkaufen. Es hat ihnen übrigens wenig ausgemacht, Vater war nie der geborene Gutsherr. Er und Mutter führen jetzt ein ungebundenes Künstlerleben, und das, was sie mit den Gelegenheitsaufträgen verdienen, reicht für sie. Aber meine Schwester und zwei Kinder konnten sie nicht unterstützen.«
    »Wer hat ihnen den faulen Wechsel angedreht? Hätte man da nicht noch etwas retten können?«
    »Ich weiß es nicht, ich war damals schon in Frankreich. Es hat heute wohl auch wenig Sinn, nachzuforschen. Die Sache ist zu lange her. Aber du kannst sie gerne selbst fragen, ich gebe dir ihre Adresse in Paris.«
    »So viel Zeit, sie aufzusuchen, werde ich mir auf jeden Fall noch nehmen. Dann fahre ich nach Köln.«
    »Da ist noch etwas, Drago, das du wissen solltest.«
    »Nun?«
    »Sie … mhm … ich fürchte, Ariane hat es trotz allem sehr mitgenommen, als sie von deinem Tod erfuhr. Sie war vier Wochen krank. Danach hat sie sich mit einem Seidenfabrikanten verlobt.«
    »Dann ist die Herausforderung ja tatsächlich noch etwas größer als gedacht.«
    George, der die ganze Zeit schweigend zugehört hatte, hob seinen Kopf.
    »Bitte, Cousin Drago, ich verstehe das alles nicht. Warum kümmern Sie sich noch um diese Frau?«
    »Weil, mein Junge, es in jedem Land und zu jeder Zeit Frauen gibt, die über Macht gebieten. Mögen sie auch bescheiden Tee servieren oder demütig hinter ihrem Mann hertrippeln, sich die Füße einbinden oder in Korsetts schnüren, mögen sie streitsüchtig um jeden Groschen zanken oder leise summend ihre Kinder wiegen, sie treffen ihre Entscheidungen und setzen sie durch. Deine Mutter und deine Schwester waren solche Frauen. Vergiss das nicht.«

    »Sie haben der Ehre wegen ihr Leben gelassen.«
    »Richtig.«
    »Aber die Mutter Ihrer Kinder hat keine Ehre.«
    »Glaubst du?«
    »Verzeihung, Cousin Drago.Verzeihung.«
    George stammelte auf Deutsch, Englisch und Chinesisch unbeholfene Entschuldigungen, aber Drago unterbrach ihn.
    »Nicht alle Frauen haben die Energie und Entschlusskraft, ihrem Leben aus Gründen der Ehre ein Ende zu setzen. Und nicht alle haben diese Kraft, alleine, mit einem Makel behaftet, ohne Einkommen zwei Kinder zu erziehen und ein neues Leben aufzubauen. George, wenn man solche Frauen unterschätzt, kann man leicht auf die Schnauze fallen.«
    »Schnauze fallen?«
    »Ein bildlicher Ausdruck dafür, dass man einen dummen Fehler gemacht hat und ihnen anschließend zu Füßen liegt.«
    Leander sah George einen Moment an, dann flog sein Stift über den Block und zeigte George die Zeichnung eines Hundes, der mit der Schnauze am Boden lag. Allerdings sah das jämmerliche Hundegesicht dem Dragos verblüffend ähnlich.
    Der musste grinsen.
    »Getroffen.«
    »Er wird zu Kreuze kriechen, hat er gesagt, George, denn er hat eine sehr große Dummheit begangen und ist auf die Schnauze gefallen. Ich nehme an, dann wird er etwa so aussehen.«
    »Er meint eigentlich einen tiefen Kotau machen«, fügte Drago erklärend hinzu. »Den machen die Chinesen vor ihrem Kaiser und der Kaiserin und ähnlichen sehr hochstehenden

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