Goldbrokat
brieflich mit ihm verkehrt. Außerdem ist er lediglich ein Lieferant für mich, ich ahnte nicht, dass Sie mit ihm bekannt sind.«
Ich besann mich darauf, dass ich meine Zunge besser hüten sollte, und vertröstete ihn damit, ihm später mehr dazu erklären zu wollen. Die Tatsache, dass Charnay in Köln weilte, hatte mich ein wenig durcheinandergebracht. Aber gut, warum nicht? Er bot seine Ware den hiesigen Fabrikanten an, also würde er wohl zu den Verhandlungen, wie auch schon vor zwei Jahren, als LouLou ihm begegnet war, für eine Weile vor Ort anwesend sein müssen. Und dass er sich einen zwielichtigen Diener genommen hatte, das mochte in seiner Natur liegen.
Die Unterhaltung hatte sich bereits anderen Themen zugewandt, und ich lauschte dem neuesten Klatsch, der die Runde machte, und beteiligte mich lebhaft an dem Gespräch, das die Vorbereitungen für den Bazar in der nächsten Woche betraf. Paul-Antons Mutter, Antonia Waldegg, war eine der Initiatorinnen, die den ersten Kölner Frauenverein gegründet hatten, damals, nach den Freiheitskriegen. Die Damen kümmerten sich um die verwundeten und kranken Soldaten, aber auch um die verwitweten oder verwaisten Angehörigen. Die Arbeit des Vereins wurde jedoch in den Dreißigern allmählich eingestellt, der Verein löste sich auf. Neuen Auftrieb hatte inzwischen der Bericht von Dunant gegeben, der nach der Schlacht von Solferino im Juni absolut grauenvolle Zustände vorgefunden und die Frauen der dem Schlachtfeld nahen Dörfer aufgefordert hatte, sich um die Blessierten zu kümmern. Antonia Waldegg hatte zu
Spenden aufgerufen, um eine Ausbildungsstätte für Frauen einzurichten, die nach dem Vorbild der englischen Dame Florence Nightingale die Krankenpflege lernen sollten. Ich fand den Gedanken hervorragend. Viel Geld hatte ich zwar nicht, das ich spenden konnte, aber ich hatte mich bereit erklärt, einen Stand mit Seidenwaren zu führen. Aus den Resten, die mir von den Kleidern blieben, hatte ich Shawls, Täschchen, Etuis, Kissenbezüge und dererlei Schnickschnack hergestellt. Mit der Nähmaschine waren solche Dinge schnell anzufertigen.Aber das musste ich ja niemandem sagen.
Später brachte mich Gernot mit der Droschke nach Hause, und ich versuchte, eingedenk LouLous Vorschlag, einen kleinen Vorstoß und schmiegte mich im Dunkel des schwankenden Gefährtes ein wenig an ihn. Er legte auch willig den Arm um meine Schultern und hauchte mir einen Kuss auf die Schläfe.
Ich kuschelte mich enger an ihn, und er lachte leise.
»Sie sind ja heute ein rechtes Schmusekätzchen, Ariane.«
»Manchmal, Gernot, habe ich das Bedürfnis, mich an eine starke Schulter zu lehnen.«
»Ich werde sie Ihnen uneingeschränkt zur Verfügung stellen. Haben Sie schon Nachricht aus China erhalten, liebste Ariane?«
»Ich fürchte, mein Schreiben befindet sich noch auf hoher See.Aber mir ist eine andere Idee gekommen, die Angelegenheit möglicherweise zu beschleunigen. Mein … mhm … Schwiegervater müsste mir eigentlich Auskunft geben.«
»Ja, aber natürlich, Liebste. Warum habe ich nicht daran gedacht?«
»Ich habe ja daran gedacht, Gernot. Nur ist der Herr sehr … mhm … schwierig. Es erfordert ausgeprägte diplomatische Fähigkeiten, mit ihm zu korrespondieren. Aber ich will gleich morgen ein Schreiben aufsetzen.«
Gernot war so angetan davon, dass er sich zu einer festen Umarmung und einem sehr akzeptablen Kuss hinreißen ließ. Ich erwog kurzfristig, ihn in meine Wohnung zu bitten, aber
dann zweifelte ich plötzlich doch, ob ich wirklich seine hemmungslose Leidenschaft würde entfachen können. Der Rahmen war einfach nicht dafür geschaffen, und vermutlich würde es uns beiden nur peinlich sein, zwischen Schneiderpuppen, Nähmaschine und Stoffballen herumzutollen.
Also ging ich alleine zu Bett.
Drachenflug
Gedanken tauchten aus Gedanken auf,
Das Kinderspiel, der frischen Jahre Lauf,
Gesichter, die mir lange fremd geworden;
Vergeßne Töne summten um mein Ohr,
Und endlich trat die Gegenwart hervor …
Annette von Droste-Hülshoff, Im Moose
Hannah saß auf der Bank und schwatzte mit ihrer Freundin Ruth, die ebenfalls Kindermädchen war, aber deren Schützling noch im Korbwagen schlummerte. Laura liebte die Ausflüge in den Stadtgarten vor den Mauern Kölns, und Philipp pflichtete ihr in diesem Punkt bei. Hier konnte man exotische Gewächse bestaunen, vor allem, seit vor zwei Jahren der Botanische Garten geschlossen worden war, auf dessen Gebiet nun der neue Bahnhof
Weitere Kostenlose Bücher