Goldbrokat
faszinierenden Mann.Warum ihr unnötig Sorgen bereiten?
Aber als sie abends nach dem Essen in ihrem Zimmer alleine waren und Lauras Drachen reparierten, sprachen sie doch leise über die Begegnung.
»Er war nett, nicht wahr? Ich meine, welcher Erwachsene lässt schon Drachen steigen, oder?«
»Christians Vater hat das auch gemacht.«
»Ja, aber der ist ja auch ein Papa. Der Mann hatte keine Kinder dabei.«
»Stimmt.Vielleicht macht man das in China so. Mann, Laura, ich hätte noch so viele Fragen an ihn gehabt.«
»Mhm.«
»Schon weil er diese lange Seereise gemacht hat.«
»Mhm.«
Versonnen strichen sie Leim auf den Span, passten ihn an und umwickelten die Bruchstelle mit dünnem Seidenband.
»Wir können morgen ja drauf achten, ob er wieder da ist«, schlug Laura vor. »Wenn Hannah mit Ruth schwätzt.«
»Mhm.«
»Ich würde nämlich auch gerne etwas über die Chinesen hören.«
»Mhm.«
»Und nicht nur über Piraten, Philipp!«
»Schon gut.«
Er war wieder im Park, sie sahen seinen eigenartigen grauen Anzug schon von Weitem. Aber er näherte sich ihnen nicht. Da der Drachen noch von seinem Unfall genesen musste, hatten sie einen Ball mitgenommen und – tja, wie es sich so ergab, flog der immer mehr in die Nähe des Herrn Long. Und ein ganz, ganz schlecht gezielter Wurf ließ ihn den schließlich vor seine Füße rollen.
Er wurde aufgenommen und zurückgeworfen.
Man konnte doch nicht anders, als ihn dem Herrn Long wieder zuzuspielen. Er schien nämlich Spaß daran zu haben. Genau wie am Drachensteigenlassen. Aber dann behielt er den Ball in der Hand und kam auf sie zu.
»Guten Tag, Fräulein Laura, guten Tag, Jung Philipp.«
Wieder eine so hübsche Verbeugung. Hach! Knickschen, bisschen tiefer.
»Guten Tag, Herr Long. Schönes Wetter heute, nicht wahr?«
Laura kam sich richtig erwachsen vor. Man machte ja Konversation, wenn man einen Bekannten traf. Alles andere wäre doch unhöflich gewesen!
»Sehr schönes Wetter. Es lädt geradezu zu einem Bummel ein, nicht wahr? Dieser Park ist wirklich sehr reizvoll.«
»Ja, Herr Long. Wir sind auch gerne hier. Fast jeden Nachmittag.«
Damit er das mal wusste.
»Ich werde mich in den nächsten Tagen auch hier aufhalten. Es gibt so viel zu entdecken. Ich habe sogar einen kleinen Maulbeerhain 5 gefunden.«
5 Man hatte 1830 Maulbeerbäume im Stadtpark zum Zweck der Seidenraupenzucht angepflanzt, die jedoch keinen nennenswerten Erfolg gehabt zu haben scheint.
»Maulbeerhain? Das wusste ich nicht. Nur, dass es eine Baumschule ist.«
»Ich habe eine Zeit lang in einem Maulbeerhain gearbeitet, Fräulein Laura. In China. Blätter für die Seidenraupen gepflückt.«
Und schon war Laura gefesselt. Mama und Madame Mira hatte ihnen schon mal von den Larven erzählt, die die feinen Seidenfäden spannen. Und nun erzählte Herr Long ihnen, wie die Seidenwürmer gefüttert wurden, bis sie sich verpuppten, und wie schwierig es war, die Fäden von den Puppen abzuhaspeln, ohne dass sie rissen. Außerdem berichtete er, dass er eine eigene kaiserliche Raupe besessen hatte. Er konnte wirklich sehr lustig erzählen.
Während sie sich unterhielten, waren sie durch den kleinen Hain geschlendert, aber Laura packte schließlich doch das schlechte Gewissen.
»Hannah wird uns suchen, Herr Long.Wir müssen zurückgehen, sonst fragt sie uns, wo wir so lange geblieben sind.«
»Dann kehren wir selbstverständlich sofort um.«
Auf dem Rückweg ergötzte Herr Long sie aber dann noch mit der hübschen Geschichte, wie die Seide von China einst nach Westen gekommen war. Die Chinesen hatten nämlich ganz furchtbar eifersüchtig ihr Geheimnis um die schimmernden Stoffe gehütet. Es hörte sich fast wie ein Märchen an, als er erzählte: »Die Menschen des westlichen Landes Kothan besaßen den Maulbeerbaum und die Seidenraupe nicht, bewunderten aber die schönen Seidenkleider. Darum schickten sie einen Gesandten nach Osten, um Maulbeersamen und Seidenwürmer zu erbitten. Der Prinz des Königreichs wollte ihnen aber nichts davon abtreten und wies vorsichtshalber die Grenzwachen an, keine Maulbeersamen oder Seidenraupen hinauszulassen. Der König von Kothan bat ihn daraufhin unterwürfig und mit großer Ehrerbietung, eine Frau aus dem Königreich des Ostens ehelichen zu dürfen. Das wurde ihm bewilligt, und der König sandte Boten aus, seine Gattin abzuholen.
Dabei gab er dem Mann die Anweisung, der Prinzessin zu erklären, dass es in seinem Reich leider keine Seide
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