Goldbrokat
uns der gutgelaunte Paul-Anton Waldegg allerdings in eine sehr urtümliche Gaststätte, wo wir in Bierdunst und Tabaksqualm an weißgescheuerten Tischplatten mit Roggenbrötchen und Kölsch bewirtet wurden. Jemand hatte die Zeitung auf der Bank neben mir liegen lassen, und als ich sie aufnahm und um ihren hölzernen Halter wickelte, fiel mir meine morgendliche Lektüre ein. Natürlich war ausschweifend über die von Prinz Wilhelm zelebrierte Einweihung der Köln-Deutzer Brücke berichtet worden, die im Volksmund wegen ihrer käfigartigen Stahlkonstruktion bereits den passenden Namen »Muusfall«, Mausefalle, erhalten hatte, aber mich hatte ein anderer, kurzer Artikel aufmerksam gemacht. Es war nämlich von einem »mysteriösen Mordfall« die Rede gewesen. Ein Mann war in der Nähe des Römerturms am Morgen vor zwei Tagen aufgefunden worden. Er hatte sich, ohne besondere Spuren von Gewalteinwirkung, das Genick gebrochen. Er konnte kaum gestürzt sein, einen Kampf schien es auch nicht gegeben zu haben, und erstaunlicherweise fand man einen Beutel mit einer ansehnlichen Summe Taler bei ihm, sodass ein Raubüberfall wohl ebenfalls ausgeschlossen war. Über die Identität des Toten wusste die Presse noch nichts zu berichten. Mich hätte dieses Verbrechen nicht besonders interessiert, in einer Stadt wie Köln kam es immer wieder mal zu Übergriffen, aber es war nicht weit von meinem Atelier entfernt geschehen, und darum war ich neugierig geworden. Paul-Anton Waldegg war der richtige Mann, um mich mit Details zu versorgen.
»Ah ja, unser mysteriöser Toter. Da sprechen Sie eine pikante Angelegenheit an, Ariane«, antwortete er auch sogleich. »Meine Eltern waren zunächst sprachlos, dann aber ganz besonders auskunftsfreudig, weshalb Sie morgen früh einen ausführlichen Artikel dazu vorfinden werden.«
»Das heißt, Sie wissen tatsächlich schon mehr?«, wollten auch andere wissen, und Paul-Anton nickte.
»O ja. Na gut, ich will euch nicht auf die Folter spannen, meine Lieben!«
»Willst du doch, Anton, sonst würdest du nicht so viele Worte drum machen«, meinte Julia und drückte ihm leicht den Ellenbogen in die Rippen. »Mein Gatte nimmt sich nämlich sehr wichtig, weil er den Fall aufgedeckt hat.«
»Habe ich nicht, Julia, mein Herzensweib. Ich habe nur in der Vergangenheit des Opfers herumgestochert.«
»Nun erzählen Sie aber auch schon!«, kam es von allen Seiten, und Paul-Anton setzte sich in Positur.
»Der unselige Tote hörte auf den klingenden Namen Fritz Kormann, und einigen älteren Herrschaften, so auch meinen Eltern, klingelte es tatsächlich dabei in den Ohren. Ein Friedrich Kormann war zur Franzosenzeit ein einflussreicher Magistrat, der sich durch korrupte Geschäfte bereichert hat. Zufällig sind meine Eltern ihm dabei auf die Schliche gekommen, und da sie persönlich Geschädigte waren, haben sie ihm das Handwerk gelegt. Der gute Mann hat sich kurz nach Waterloo aus einem Heißluftballon gestürzt. Zurückgelassen hat er drei Kinder, der älteste Sohn Fritz, damals noch Frédéric Leon Kormann, wuchs vaterlos bei der Mutter auf, die sich nicht wieder verheiratete, sondern nach dem Skandal, der sie auch finanziell ruiniert hatte, Unterschlupf bei ihrer Mutter fand. Diese werte Dame wurde in besseren Zeiten die ›fussje Ida‹ gerufen und ging dem Beruf der Berlichschwalbe nach. Im Alter jedoch war sie nur noch Putzfrau in einigen anrüchigen Etablissements. Ihre Tochter … schweigen wir besser darüber. Fritz lernte die Gesellschaft von unten kennen, aber sein Vater mag ihm genügend Chuzpe mitgegeben haben, um sich vernünftige Umgangsformen anzueignen und als Diener für einige Herren zu arbeiten. Allerdings hat er nicht nur Stiefel gewichst und Paletots gebürstet, sondern auch seine reichen Erfahrungen aus dem Vergnügungsbereich weitergegeben. Er wurde sozusagen als Geheimtipp gehandelt. Als Letztes war er als Kammerdiener für einen französischen Seidenhändler tätig, und Monsieur Charnay ist untröstlich, seinen
Bediensteten durch einen so schnöden Mord verloren zu haben. Die große Summe, die er bei sich trug, konnte er sich indessen auch nicht erklären.« Paul-Anton grinste bei der letzten Erklärung vieldeutig, aber ich zuckte zusammen.
»Charnay ist in Köln?«, entfuhr es mir.
»Kennen Sie den Mann etwa, Ariane?«
»Ja. Und Sie, Gernot, auch.Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass er sich hier aufhält?«
»Aber meine Liebe, ich wusste es selbst nicht. Bisher habe ich
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