Goldbrokat
hat.«
»Das wird ja immer grotesker.«
»LouLou kannte Charnay, vermute ich. Auf jeden Fall kannte Nona ihn.Wir müssen Ihre Schwester finden,Wever.Vorhin war sie nicht zu Hause oder nicht in der Lage zu öffnen.«
»Ich habe einen Schlüssel zu ihrer Wohnung.«
»Dann gehen wir.«
George, der schweigend zugehört hatte, schloss sich ihnen unaufgefordert an.
Wieder verhallte das Läuten der Türglocke ungehört.
»Sie hat eine Haushälterin. Warum öffnet die nicht?«, murmelte Gernot.
»Ihre Schwester wird zutiefst erschüttert sein und sich nach Alleinsein sehnen, stelle ich mir vor. Schließen Sie auf, Wever. Wir müssen ihre Trauer stören.«
»Ja, ja, natürlich.«
Der Fabrikant wirkte noch immer verstört, und hätte er es zugelassen, hätte Drago sein Entsetzen geteilt. So aber konzentrierte er sich auf das Gegenwärtige. Als der Schlüssel im Schloss steckte, drehte er ihn um und öffnete die Tür.
»Sie kennen sich hier aus, wo sind ihre Räume? Am ehesten finden wir sie vermutlich im Schlafzimmer.«
»Ja. Ich gehe vor.«
Sie erklommen die Treppe in die erste Etage, und Gernot rief laut: »Louise! Louise, wo bist du?«
Während er die nächste Stiege hinaufsprang, öffnete Drago die Tür, die seiner Kenntnis der Stadthäuser nach zum Salon führen musste.
In vollkommener Fassungslosigkeit blieb er auf der Schwelle stehen.
George hinter ihm murmelte etwas auf Chinesisch und brach dann schlichtweg zusammen.
Der Stuhl lag umgeworfen am Boden, LouLous Füße schwebten ein gutes Stück darüber.
Es fiel Drago schwer, seine Stimme wiederzufinden. Dann rief er nach Gernot und schloss die Tür zunächst hinter sich.
Als Wever die Treppe hinunterkam, schaute er auf George und klammerte sich am Geländer fest.
»Er kommt gleich wieder zu sich. Gernot, es ist das Schlimmste geschehen, was Sie sich vorstellen können.«
»Was... Was ist passiert?«
»Ich fürchte, Ihre Schwester hat das Unglück, das über sie gekommen ist, nicht ausgehalten.«
Gernot schwankte. Drago stützte ihn.
»Was...«
»Sie hat den Tod gewählt«, flüsterte er und wappnete sich gegen den Schmerz, den ihm diese Meldung bereitete.
»Hier drin?« Heiser klang Gernots Stimme.
»Ja.«
»Ich muss zu ihr!«
»Natürlich.«
Drago trat beiseite und ließ LouLous Bruder in den Salon treten. Dann beugte er sich über George und zwickte ihn ins Ohrläppchen. Er schlug die Augen auf, und leise, in seiner Muttersprache, redete Drago auf ihn ein.
»Sie hat sich erhängt. Ich dachte, es sei meine Mutter«, stöhnte der junge Mann auf und brach in Tränen aus.
»Junge, es ist schrecklich für uns alle. Aber wir müssen Herrn Wever helfen.«
»Ja, Cousin Drago.Verzeihen Sie.«
George wischte sich mit den Handrücken über das Gesicht, aber die Tränen flossen weiter.
»Du hast nicht genug um Ai Ling und deine Mutter getrauert, mein Junge.«
George nickte, stand aber dennoch auf, und mit hängenden Schultern betrat er hinter Drago den Raum. Gernot stand wie aus Holz geschnitzt neben dem umgeworfenen Stuhl, die Augen starr auf LouLou gerichtet.
»Wir wollen sie herunterholen und auf die Chaiselongue betten. Hilf mir, George. Ich steige auf den Stuhl, und du hältst sie fest.«
Es war schwierig, aber schließlich hatte er die Schlinge vom Kronleuchter gelöst und den Leichnam niedergelegt.
Still zog Drago den weißen Seidenstreifen durch die Finger.
Nonas rumal, die Waffe, die Servatius einem hilflosen Mädchen gegeben hatte.
Einem seltsamen, gebrochenen weißen Schmetterling.
Gernot kniete neben seiner Schwester und weinte. George stand am Fenster und lehnte seine Stirn an das Glas. Drago aber bemühte sich um einen klaren Gedanken.
Wenn LouLou den Freitod gewählt hatte, würde sie mit großer Wahrscheinlichkeit einen Abschiedsbrief verfasst haben. Er sah sich um und fand das offene Blatt Papier auf dem kleinen Sekretär.
Es war an Ariane und an ihren Bruder gerichtet. Nonas Tod, so schrieb sie, hatte ihrem Leben den Sinn genommen. Man möge sie nebeneinander begraben. Wo auch immer. Das Geld auf dem Bankkonto und in der Kassette solle Gernot als die Rückzahlung seines Kredits betrachten, und Ariane möge sich vor Charnay in Acht nehmen. Nona sei noch einmal zu Bewusstsein gekommen, und sie habe sich daran erinnert, ihn im Theaterfundus gesehen zu haben, kurz bevor er sie niedergeschlagen habe.
Nüchtern, wie sie gelebt hatte, war LouLou Wever aus dieser Welt gegangen. Und doch war dieser Brief ein Zeugnis ihrer
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