Goldbrokat
will seiner habhaft werden. Und darum werden wir jetzt Folgendes tun...«
Drago hatte mich an der Hand gefasst und zog mich beinahe die dunkle, enge Gasse entlang.
»Lass uns verschwinden, Ariane, die Gegend gefällt mir gar nicht«, sagte er leise. Ich musste ihm zustimmen.
Erst als wir die breitere Straße »Am Hof« erreicht hatten, blieb er stehen. Unter einer Gaslaterne sahen wir uns an.
»Du siehst... wild aus, Drago.«
Seine Zähne blitzten weiß im Licht auf, als er grinste.
»Du siehst schmutzig aus.« Er wischte mir über die Wange, und seine Miene wurde ernst. »Und du frierst.«
Er zog die eigenartige Jacke aus und half mir hinein. Sie war warm von seinem Körper, federleicht und weich.
»Die Chinesen tragen sie in der kalten Zeit. Sie ist mit Flockseide gefüttert. Bequem, nicht?«
Ich nickte und zog sie eng um mich.
»Schaffst du es, zu Fuß zu dir nach Hause zu gehen? Selbst alles Geld der Welt kann hier um Mitternacht keine Droschke herbeizaubern.«
»Drago, ich bin durstig und hungrig und widerlich schmutzig, aber kein Krüppel.«
»Wir könnten auch deine Tante Caro verschrecken, es ist näher.«
»Lass uns gehen, je schneller wir in meiner Wohnung sind, desto eher habe ich den Krug Limonade vor mir stehen. Und – ich habe ein frisches Brot und Schinken!«
»Dann los.«
Wieder nahm er meine Hand, passte aber seine Schritte den meinen an. So eilten wir durch die fast menschenleeren Straßen. Hier und da waren noch einige Bummelanten unterwegs, die von den Vergnügungsstätten und Kneipen auf dem Heimweg waren. Dragos schwarz gekleidete Gestalt und meine werte Schmuddeligkeit mochte den einen oder anderen zu originellen
Annahmen inspirieren, mich störte es nicht. Und dann fiel mir plötzlich etwas ein.
Ähnliche nächtliche Streifzüge hatten wir auch früher schon unternommen. Wenn uns die steifen Veranstaltungen unserer Braunschweiger Bekannten zu viel wurden, hatten wir uns manchmal verstohlen zugezwinkert und uns heimlich davongemacht, um im Dunkeln Hand in Hand zu spazieren und das nächtliche Treiben zu beobachten. Oder Unfug zu treiben.
»Wir haben mal ein Boot geklaut, weißt du noch?«, entfuhr es mir deshalb.
Drago blieb abrupt stehen, drehte sich um und sah mich wieder an.
»Du erinnerst dich daran?«
»Ja, natürlich.«
Er zog mich an sich und fuhr mit der Hand durch das, was von meinen Haaren noch übrig war.
»Es war eine einzigartige Nacht«, flüsterte er. »Oder siehst du es heute anders?«
Es war eine vollkommene Nacht in einem vollkommenen Mai. Ich war mit Laura schwanger, was uns aber nicht daran hinderte, einen Nachen zu entern und eine Ausflugsfahrt über die Oker zu unternehmen. Im Mondlicht machten wir unter hängenden Weiden fest, und... Drago nutzte die Situation weidlich aus.
Die Piratenträume meiner Kinder mochten in solch abenteuerlichem Verhalten ihrer Eltern ihren Ursprung haben.
Ich legte meine Arme um seinen Hals und blickte ihm in die Augen. Die Zeit der Verstellung war vorüber.
»Nein, Drago. Ich sehe es heute noch immer so.«
Sein Gesicht veränderte sich, wie ich es noch nie gesehen hatte. Trauer, Freude und sogar Angst wechselten in schneller Folge.
»Ich werde versuchen, es wiedergutzumachen, TaiTai.« Er nahm meine Hand und hauchte einen Kuss darauf. »Aber jetzt lass uns gehen.«
Ja, es galt die Gegenwart zu bewältigen, nicht die Vergangenheit. Mir fiel ein, dass ich mein Retikül nicht bei mir hatte.
»Drago, ich weiß nicht, wie wir ins Haus kommen. Mein Schlüssel war in der Tasche, und die ist fort.Vielleicht hat Charnay sie an sich genommen, oder ich habe sie verloren.«
»Dass er den Schlüssel hat, könnte uns Sorgen machen, das andere ist kein Problem. Ich habe den für den Hintereingang.«
»Oh?«
»Ja, wie glaubst du denn, dass ich Samstagnacht zu dir ins Bett gekommen bin?«
Jetzt hatte er selbst angesprochen, was ich mir vorgenommen hatte, nie zu erwähnen.
»Ich war in gewisser Weise zu sehr abgelenkt, um mir großartig Fragen darüber zu stellen.«
Ich hörte sein Lachen, und sein Arm legte sich um meine Taille.Wir hatten die Zeughausstraße erreicht, und als er die Tür aufsperrte, wollte ich dennoch wissen: »Wer gab ihn dir?«
»Nona.«
Wir gingen in die Küche, und ich zündete die Lampe an.
»Er hat mich mit der Nachricht, LouLou brauche mich im Bürgerhospital, in die Droschke gelockt. Ich hoffe, Nona...«
»Nona ist in den Morgenstunden gestorben.«
»Ja, das stand zu befürchten. Armer
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