Goldbrokat
verbringe meine Zeit gerne damit, aus dem Fenster zu schauen, seit meine müden Knochen nicht mehr so recht wollen, Herr Kusan. Und ja – jetzt, wo ich es mir vor Augen führe, hatte er Ähnlichkeit mit dem alten Stubenvoll. Herr Kusan, das traurige Huhn von Caro Elenz hat Bekanntschaft mit ihm geschlossen, mag der Himmel wissen, durch wen.«
»Charnay, oder Stubenvoll, hat sich einige gesellschaftliche Umgangsformen angeeignet, und Geld öffnet viele Türen. Auch wenn dahinter Schuldenberge stehen. Madame Mira, wenn Ihre Beobachtung richtig ist, dann müsste Caro Elenz auch wissen, wo er wohnt, oder zumindest Leute kennen, die in der Lage sind, es in Erfahrung zu bringen.Wo verbringt sie den heutigen Abend? Weiß das jemand hier im Raum?«
Hannah räusperte sich und sagte leise: »Sie wollte sich von ihrer Freundin verabschieden. Frau von Schnorr hat sie zu einem Essen eingeladen. Die reist nämlich für einige Zeit in ein Kurbad.«
Madame Mira schnaubte.
»Sie hat sich eine gesellschaftliche Krankheit zugezogen. Es wird gemunkelt, dass ihr Gatte sich von ihr getrennt hat. Nicht im Frieden, wie es heißt.«
»Tatsächlich?«
Die Brillengläser blitzten im Licht auf, als sich die alte Dame dem Sprecher zuwandte.
»Ihr Tonfall, Herr Kusan, lässt mich das eine oder andere vermuten.«
»Ich traf letzthin den Edlen von Schnorr zu Schrottenberg, Madame Mira.«
»Aha. Nun, dann werden Sie bei Belderbusch sicher nicht mit offenen Armen empfangen, sollten Sie vorhaben, sogleich die Festung zu stürmen.«
»Nein, ich werde eine andere Festung stürmen. Beschreiben Sie mir, wie ich zur Bechergasse finde.«
»Mhm. Ja, eine kluge Überlegung.«
»Ich kann Sie hinführen, Papa.«
»Ihr beide bleibt hier. Ihr werdet das Haus so lange nicht verlassen, bis ich es euch erlaube.«
»Aber...«
»Och...«
»Gehorcht mir, Kinder. Ich will euch nicht auch noch in Gefahr wissen.«
Madame Mira erklärte ihm etwas umständlich, wie er das Haus finden konnte, und fügte hinzu: »Gehen Sie, Drago Kusan. Und überlassen Sie Caro Elenz mir. Ich bekomme aus ihr schon heraus, wo der Stubenvoll untergekrochen ist. Hannah, helfen Sie mir beim Ankleiden, ich werde im Salon auf Caros Rückkehr warten.«
»Ich werde jetzt noch einmal kurz das Hotel aufsuchen und dort einen Diener bezahlen, der hier im Haus auf Ihre Nachricht wartet. Setzen Sie die Haushälterin davon in Kenntnis.«
»Gute Idee. Und gehen Sie. Ich bete für Sie und Ariane.« Die Kinder begleiteten ihn zur Haustür, und bevor er sie öffnete, drehte er sich um und zog beide fest an sich.
»Wir besitzen einen großen Vorteil, meine Kinder – Charnay weiß nicht, dass ich hier bin. Und dass ich ihn suche und vernichten werde.«
»Ja, Papa.«
Als die Haustür zugefallen war, sah Philipp seine Schwester an.
»Er hilft ihr, nicht wahr?«, flüsterte die. Und seine Stimme zitterte auch leicht, als er antwortete: »’türlich!«
Aber ein bisschen Angst hatte er doch. Auch wenn Papa ausgesehen hatte wie ein leibhaftiger Drachen, dessen Feueratem aus dem bösen Zappelphilipp ein verkohltes Stück Braten machen würde.
Wer andern eine Grube gräbt
Er ist gekommen
In Sturm und Regen,
er hat genommen
mein Herz verwegen.
Nahm er das meine?
Nahm ich das seine?
Friedrich Rückert
Ich befand mich in einem eigenartigen Dämmerzustand. Die Erschöpfung ließ mich manchmal eindösen, doch die Furcht versetzte mich bei jedem noch so kleinen Geräusch sofort in Alarmbereitschaft. Würde Charnay vorbeikommen, um seinen angekündigten Spaß mit mir zu haben? Jedes ferne Räderrollen, jedes leise Knacken oder Knirschen des alten Gemäuers schreckte mich auf. Immer wieder umklammerten meine Finger das Scherchen, immer wieder tastete ich nach dem Holzstiel.
Und dennoch gab es Phasen, in denen ich offensichtlich vom Schlaf übermannt wurde, denn als ich wieder einmal von einem winzigen Geräusch geweckt wurde und die Augen öffnete, bemerkte ich in meiner Armbeuge ein kleines Gewicht. Ich strengte mich an, in der geringen Helligkeit, die von dem Spalt an dem hohen Fenster auf mich fiel, zu erkennen, um was es sich handelte, und stellte zu meinem großen Erstaunen fest, dass sich eine kleine, rundliche Maus dort zusammengerollt hatte und friedlich schlummerte.
Ich ekelte mich nicht vor Mäusen. Das hatte mir Captain Mio schon lange aberzogen.
Und dieses Bild des friedlichen Vertrauens rührte mich.
Das kleine Geschöpfchen musste es auch gewesen sein, das mich
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