Goldbrokat
was sie zu berichten hatte. Dass sich in den letzten Wochen irgendetwas getan hatte, war ja nicht zu übersehen gewesen. Mama war viel häufiger als sonst ausgegangen, dann hatte sie angefangen, Bücher mit Bildern von Gewändern zu studieren, drei große Pakete waren abgegeben worden, stundenlang hatte sie mit Madame Mira zusammengesessen – und nun kam es raus.
»Ich werde für ein kleines Theater die Kostüme entwerfen und schneidern. Das wird Tante Caro überhaupt nicht passen, weil sie es für unschicklich hält.«
»Das Schneidern?«
»Das Schneidern für Geld und dass es für ein Theater ist.«
»Aber wir brauchen doch Geld, oder? Ich meine – um nicht hungern zu müssen wie Fräulein Nona.«
»Ganz richtig. Nur fürchte ich, dass Tante Caro dieser Konsequenz noch nicht ins Auge gesehen hat.«
»Ich werde dir helfen, Mama. Ich kann schon ganz gut gerade Säume nähen. Und Philipp kann prima Nähte auftrennen. Und ein bisschen Nähen kann er auch. Gehen wir wieder zum alten Isaak?«
»Nein, meine Süßen, diesmal haben wir das Vergnügen, mit ganz neuen Stoffen arbeiten zu können. Sie sind bei Madame Mira unten.Wollen wir sie uns mal ansehen?«
Laura war begeistert, und Philipp, der sich von der Fron des Auftrennens erlöst sah, stimmte einigermaßen gutwillig zu.
Madame Mira freute sich sichtlich über ihren Besuch und legte Kneifer und Buch beiseite. Mit Vergnügen schlüpfte sie in die Rolle einer beflissenen Verkäuferin.
»Die jungen Herrschaften möchten die gelieferte Ware prüfen? Vielleicht eine neue Frühjahrsgarderobe bestellen? Treten
Sie näher, treten Sie ein in Madame Miras Salon, Messieurs dames. Prüfen Sie, bewundern Sie, fragen Sie.«
Es war lustig, ganz wie in einem vornehmen Geschäft.
In dem Packen lagen Rollen mit rotem, weißem, schwarzem und grünem Stoff. Madame Mira griff zur Schere, schnitt von jedem ein Stück ab und reichte es ihrer Kundschaft.
»Das ist Taft, Monsieur, aus bester Seide, ohne Knötchen oder Verdickungen.«
Philipp, weniger an dem Stoff als an der Herstellung interessiert, nahm den gebotenen Fetzen in die Hand und begutachtete ihn aufmerksam.
»Sie haben mal gesagt, dass früher dieses Zeug hier von den Seidweberinnen hergestellt wurde. Die gibt’s aber nicht mehr. Kommt das aus einer Dampffabrik?«
»Ja, Monsieur, die Webstühle werden heute mittels Dampfmaschinen angetrieben.«
Das weckte augenblicklich sein Interesse.
»Wie?«
Mama zupfte an seinem Ohr.
»Ich habe diese Stoffe von Herrn Gernot Wever erhalten, das ist der Bruder der Dame, die das Theater eröffnen wird. Möglicherweise haben wir in der nächsten Zeit einmal die Gelegenheit, seine Fabrik drüben in Mülheim zu besichtigen.«
Diese Aussicht machte Philipp geradezu glückstrunken, und so ließ er bereitwillig über sich ergehen, wie Madame Mira Laura den Unterschied zwischen Taft und Atlas erklärte.
»Siehst du, bei dem Taft kreuzen sich die Kett- und Schussfäden jedes Mal, immer ein Kettfaden oben, einer unten. Bei dem Atlas oder Satin liegt der Schussfaden, das ist der, der mit dem Weberschiffchen durch die senkrechten Fäden gezogen wird, über zwei, drei, manchmal sogar mehr Kettfäden und nur unter einem. Darum glänzt die Oberfläche viel stärker, und die Unterseite wirkt stumpf.«
Laura betastete begeistert das Gewebe und wandte sich dann dem nächsten zu, einem in sich gemusterten grünen Stoff.
»Der ist ganz anders.Wie macht man das?«
»Das ist Damast, der ist für die Weber weit schwieriger herzustellen, denn hier wird nach einer Mustervorgabe der Schussfaden dort, wo diese Blätter und Ranken glänzend sind, über den Kettfäden geführt, und da, wo der Stoff matt erscheint, unter der Taftbindung.«
»Aber …« Philipp begutachtete das Stück, das Madame Mira ihm reichte, mit gekräuselter Nase. Er konnte sich das Webverfahren ganz gut vorstellen, einen einfachen Handwebstuhl hatte er schon einmal gesehen. »Wie weiß der Weber denn, welche Fäden er drüber und drunter weben soll?«
»Darum muss er sich beim Weben nicht kümmern, dafür hat er seinen Zampel. Das ist der Junge, der die Fäden zieht, sodass sich immer das richtige Fach für das Schiffchen öffnet. Eine höllische Arbeit, sage ich dir. Und weil das so kompliziert ist, hat ein sehr, sehr kluger Zampeljunge aus Lyon sich vor Jahren eine Maschine ausgedacht, die das automatisch macht. Seither nennt man die Webstühle, die das können, nach ihm – Jacquard.«
»Und einen solchen besitzt
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