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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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einer frischen Seidensaat aus Italien sowie den strengen Sauberkeitsregeln, die er für seine Arbeiterinnen aufgestellt hatte. Er würde in diesem Jahr eine reiche Ausbeute erzielen,
und in den nächsten Jahren mit Sicherheit noch mehr. Die Preise für Rohseide waren in den vergangenen Jahren schon gestiegen; sie würden weiter nach oben klettern, je weniger Anbieter es gab.
    Er würde einer der ganz Großen werden. Denn schon am morgigen Nachmittag wollte er seinen Nachbarn aufsuchen und dem armen Mann noch einmal ein großzügiges Angebot für seinen Streifen Land machen, den er selbst so dringend benötigte, um seine Maulbeerbaum-Pflanzung zu erweitern. Die Stecklinge dafür lagerten schon auf seinem Gut, er war sich so gut wie sicher, dass er nach der katastrophalen Ausbreitung der Seuche mit seiner Bitte auf offene Ohren stoßen würde, denn der Wiederaufbau der Seidenbau-Schuppen, das Beschaffen frischer Seidensaat und vor allem der komplette Ernteausfall mussten den Mann in finanzielle Bedrängnis bringen.
    Zufrieden sah er zu, wie der Rest des Gebäudes nun zusammenbrach und zu einem Haufen Glut wurde, aus dem hier und da blaue Flammen waberten. Der Brandgeruch mischte sich mit der würzigen Mailuft, die von der Süße der Mimosen geschwängert war, die die Hecke zu dem begehrten Land bildeten.

Premiere
    Ich bin die öffentliche Meinung;
Symbolisch nur in der Erscheinung,
Üb’ ich mit Strenge die Kritik.
Der Chor, der einst erscheinen musste,
Macht’ Alles in dem Drama klar,
Was jeder schon im Voraus wusste,
Der nicht zu sehr vernagelt war.
     
    Jacques Offenbach, Orpheus in der Unterwelt
    Ich war aufgeregt. Warum auch nicht? Ich war schließlich Teil des Geschehens, und an diesem Abend sollte die Premiere im »Salon Vaudeville« stattfinden.
    In den vergangenen Monaten hatte ich höchste Achtung vor LouLou gewonnen. Sie war eine unermüdliche Arbeiterin, ein Organisationstalent sondergleichen, eine gewiefte Geschäftsfrau und eine begabte, phantasievolle Tänzerin. Das Haus an der alten Burgmauer war renoviert und an die Anforderungen eines Salontheaters angepasst worden. Das Erdgeschoss war zu einem großen Saal mit einer leicht erhöhten Bühne umgebaut worden, Nebenräume zu Garderoben, der Keller zum Getränkelager. Im ersten Stockwerk war das von LouLou engagierte Schauspielerpaar eingezogen, die Mansarde diente mir als Arbeitszimmer und als Kostümfundus. LouLou hatte zu diesem Zweck extra das Fenster zur Straßenseite vergrößern lassen, damit genug Tageslicht für die feinen Näharbeiten einfiel.
    Noch waren es vier Stunden, bis es sich zeigen sollte, ob das Programm die geladenen Gäste überzeugen würde, und ich verbrachte
die Zeit damit, mein eigenes Kleid für diesen Abend fertig zu nähen. Denn dazu hatte mir in den letzten Tagen die Muße gefehlt. LouLou hatte sehr genaue Vorstellungen, wie der Gesamteindruck ihres Hauses zu wirken hatte, und dazu gehörte, dass die drei Serviermädchen meinem Vorschlag nach in gleicher Art angezogen waren, schwarz-weiß gestreifte Röcke, gelbe, tief ausgeschnittene Mieder, weiße Blusen und rüschenbesetzte Schürzen hatte sie befohlen und den Mädchen eine Grundausstattung geschenkt. Der Sängerin hatte sie ebenfalls ein Kleid versprochen, denn Melisande, eine Bänkelsängerin, die mit der Drehorgel durch die Straßen zog, hatte zwar eine wunderbare Stimme und ein unerschöpfliches Repertoire an Singstücken, war jedoch so heruntergekommen, dass sie sich keine in die elegante Umgebung passenden Gewänder leisten konnte.
    Nicht zuletzt LouLou selbst verlangte drei neue Kostüme, zwei davon, die sie für ihre Tanzdarbietungen benötigte, und eine auffällige Robe, in der sie die Gastgeberin des Hauses spielte. Und sie wusste, was aufsehenerregend an ihr wirkte.
    Und das hatte wenig mit den Kreationen zu tun, die ich bisher für mich entworfen hatte.
    »Ariane, du musst umdenken«, hatte sie gesagt. »Die Gesellschaft, in der du dich bislang bewegt hast, ist prüde, zimperlich und äußerlich streng darauf bedacht, ihre sittsame Gesinnung zur Schau zu tragen.«
    Recht hatte sie. Kräftige Farben galten als gewagt, Schwarz gar als sündig, wenn es nicht von verstaubten Witwen getragen wurde.
    Ich beugte mich gerne ihrem Wunsch. Früher hatte ich auch mit Vorliebe lebhafte Farben getragen, aber inzwischen hatte ich mich den Gepflogenheiten meiner Umgebung angepasst. In den vielen langen Sitzungen, in denen wir über Schnitte, Materialien, Kosten und

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