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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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er. Denn nun wurde über dem Ufer eine gelblich weiße Wolkenspitze sichtbar. Sie hatte die Gestalt eines umgekehrten etwas schiefen Kegels und hob sich leuchtend von graublauen Wetterwolken über uns ab. Der Wirbel riss wiederum Staubmassen über Land empor, die eine bis in die Wolkendecke reichende Säule bildeten. Auf mehreren größeren Schiffen, die am Ufer vertäut waren, brach hektische Geschäftigkeit aus. Man ließ Anker herab, befestigte Segel und Tauwerk und bereitete sich auf das Eintreffen des gefährlichen Wirbels vor. Denn bevor sie die oberen Landhäuser bei Mehlem erreichte, hielt die Wettersäule in ihrer Bewegung inne, drehte sich um und schritt zurück. Zum zweiten Mal sprang der Wirbel auf den Rhein, allerdings mit ungleich größerer Kraft als beim ersten Mal. Mit einem gewaltigen Brüllen und Tosen verwandelte sich das Wasser in eine weiße Schaummasse. Der Fluss schien förmlich zu sieden, und mit einem Mal erhob sich aus dem wogenden Schaum eine Masse von Wasser und Wasserdunst fast senkrecht und teilte sich in drei aufwärts strebende Strahlen. Jetzt traf auch unser Boot der erste Windstoß.
    »Refft die Segel!«, krähte Philipp. »Bemannt das Ruder!«
    »Richtig, mein Junge. Jetzt wird es lustig«, meinte der Schiffer und grinste meinen Sohn an.
    »Hart steuerbord! Alle Mann in die Wanten!«, krähte Laura, worauf der Bootsmann dröhnend auflachte.
    »Backbord, du Leichtmatrose! Backbord!«

    Das Segeltuch fiel nach unten, eine Welle versetzte uns in heftiges Schaukeln.
    »Runter! Alle runter! Legen Sie sich nieder, Frau Kusan. Die Kinder! Halten Sie die Kinder fest!«
    Gernot Wever war aufgeregt, aber ich mochte seinem Drängen nicht folgen, genauso wenig wie Laura und Philipp. Wir konnten unsere Blicke nicht von dem Phänomen wenden, das sich vor uns in seiner ganzen Pracht entfaltete. Der mittlere Wasserstrahl dieses gigantischen Springbrunnens stieg hoch über die beiden seitlichen empor. Die beiden seitlichen Strahlen teilten sich noch einmal, und der mittlere vereinigte sich gleich darauf mit dem von oben kommenden Windtrichter. Dieser Trichter sog das Wasser mit einer solchen Kraft aus dem Rhein in den Himmel, dass die Säule höher als der Drachenfels anwuchs. Das ganze Gebilde wirkte wie eine Kathedrale aus Schaum und Nebeldunst. Senkrecht erhob sich ihr Turm, wie von Silber glänzend, und berührte mit seiner Spitze die Wolken. Darauf verengte sich die Wassersäule an ihrem Fuß, wo sie auf der wirbelnden, kochenden Schaummasse ruhte. Das Brausen und Tosen nahm zu, als sie unaufhaltsam in unsere Richtung wanderte. Gernot Wever warf sich über mich, der Schiffer über die Kinder.
    Ja, jetzt bekam ich es auch mit der Angst zu tun. Und doch versuchte ich, einen Blick auf dieses Naturschauspiel zu werfen. Würden wir kentern? Würde der Sog uns emporwirbeln und aus großer Höhe fallen lassen? Sollten wir zerschmettert werden?
    Ich bekam Lauras Hand zu fassen, dann auch Philipps. Und in das Windgeheul hinein hörte ich meinen unerschrockenen Sohn ausrufen: »Beim wilden Nick, ist das toll!« Er lachte, und auch Laura grinste, als ob es der größte Spaß ihres Lebens wäre, in einer Wasserhose Karussell zu fahren.
    Die Wogen nahmen zu, wir wurden durchnässt, das Boot schöpfte Wasser, doch bevor die Säule uns erfasste, hielt sie plötzlich in ihrer Bewegung inne, beschloss aus einem nur ihr verständlichen
Grund, uns zu verschonen, und bewegte sich auf das gegenüberliegende Ufer zu, wo sie – ebenfalls nur knapp – die Röhndorfer Fähre verfehlte. 2
    Obwohl die Gefahr endgültig gebannt schien, lag Gernot Wever noch immer über mir, und vielleicht war es der Erleichterung und der überstandenen Angst zuzuschreiben, dass ich seinen Körper plötzlich sehr deutlich wahrnahm. Ich konnte nicht widerstehen, ich wand mich ein wenig unter ihm. Er versuchte sich zu erheben, aber ich legte ihm die Arme um den Hals und gab ihm einen herzhaften Kuss.
    Den er erstaunlich innig erwiderte, dann aber abrupt beendete.
    Na gut, die Kinder schauten mit interessierten Mienen zu.
    Also küsste ich sie auch gründlich ab.
    Den Schiffer ließ ich aus. Das wäre dann doch zu viel des Guten gewesen.
    In diesem Augenblick aber brach das Unwetter richtig los, und der Heimweg wurde höchst ungemütlich. Ein Wolkenbruch mit Hagel und Sturm durchnässte uns alle bis auf die Haut, und Gernot machte es sich zur Aufgabe, mich weiterhin mit seinem eigenen Körper zu schützen. Ich wehrte mich nicht gegen seine

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