Goldbrokat
ihr Bein verbrühte. Man war wütend auf sie, weil eine ganze Ladung Kokons durch ihr Missgeschick verdorben war.
Die Schmerzen waren schlimm, ein Arzt wurde aber nicht geholt. Erst als sie eine Fehlgeburt erlitt, half ihr eine Hebamme.
»Als ich wieder einigermaßen gehen konnte, warf Monsieur de Charnay mich raus. Eine von den Frauen half mir, brachte
mich nach Lyon, und ich fand Arbeit in der Handschuh-Manufakur.«
»Danke, Nona, dass du mir diese Geschichte anvertraut hast.« Madame Ariane stand auf und strich ihr über die Haare. »Du bist ein tapferes Mädchen.«
Nona schüttelte den Kopf.
»Nein, ich bin nur eine weiße Raupe. Ich bin nur eine Spinnerin.«
»Wer weiß, vielleicht wird aus dir noch mal ein Schmetterling. Wenn das Kleid fertig ist, begleite ich dich zur Messe. An Pfingsten.Was hältst du davon?«
»Aber Madame, Sie sind doch …?«
»Eine Ketzerin? Nein, nein. Ich bin eine Christin wie du auch, ich gehöre nur einer anderen Gemeinschaft an. Ich bin aber sicher, dass der Priester es mir nicht verwehren wird, auch in einer katholischen Kirche zu beten. Allerdings musst du mir etwas helfen, damit ich nichts falsch mache.«
Es war wie nach einer Beichte, es war, als ob sie für all ihre Vergehen Absolution erhalten hatte. Es war ihr ein Druck vom Herzen genommen worden, und eine wundervolle Leichtigkeit erfüllte ihr Herz. Darum schnäuzte sie sich ein letztes Mal und sagte dann mit einem winzigen Lächeln: »’türlisch, Madame.«
Turbulenzen
Wohl wünsch’ ich vieles mir; doch, wär’ ich ein Matrose,
Dann wünscht’ ich einen Sturm und eine Wasserhose
Im fernsten Südmeer mir; dann wünscht’ ich, daß mein Schiff
Der zürnenden Gewalt des Trombengeists verfiele …
Ferdinand Freiligrath, Schiffbruch
Am Freitag vor Pfingsten stand ich mit zwei aufgekratzten Kindern auf dem Bahnhof bei St. Pantaleon und wartete darauf, dass der Zug einfuhr. Es war drückend heiß, und alle Welt hoffte seit Tagen auf ein erlösendes Gewitter. Wahrscheinlich waren Laura und Philipp deswegen so kribbelig, selbst ich musste eine leichte Gereiztheit unterdrücken, denn die beständigen Fragen, wann der Zug nun käme, was denn wohl die Überraschung sei, die Herr Wever versprochen hatte, warum die Dame da drüben den Hund nicht von der Leine ließ und ob es wohl ganz bestimmt nicht zu regnen anfangen würde, zerrten an meinen Nerven.
Die Pfingstferien nutzten zahlreiche Menschen, um die Stadt zu verlassen. Studenten in ihrem bunten Corps-Wichs hatten sich schon zu dieser frühen Stunde auf dem Bahnsteig versammelt und disputierten lauthals irgendwelche weltbewegenden Themen, die durch das heimliche Kreisen einiger Flachmänner philosophisch beschwingt wurden. Gleichfalls farbenprächtig und männlich in ihren Ausgehuniformen gaben sich die jungen Offiziere, die auf den Zug warteten, verhielten sich aber etwas gesitteter. Das mochte an dem Fehlen des Alkohols liegen. Ein paar gesetzte Ehepaare mit mehr oder minder nörgeligen Kindern wurden von Dienstleuten und ihrem Gepäck umschwirrt,
ein Trüppchen ehrwürdiger Schwestern drückte sich eng zusammen wie eine Schafherde, wenn’s donnerte.
Endlich kündete das Schnauben und Stampfen die Einfahrt des feuerspeienden Drachen an, der die Wagons hinter sich nach Rolandseck ziehen sollte. So die Lesart meiner Kinder.
Wir quetschten uns mit zwei älteren Fräuleins in ein Coupé, und ich musste tatsächlich einen verschärften mütterlichen Ton einsetzen, um Laura und Philipp zur Ruhe zu bringen. Sie saßen dann auch recht ruhig da, aber sie schmollten. Ich wagte sie nur unter gesenkten Wimpern anzuschauen. Noch war Philipps Matrosenanzug makellos sauber, und Lauras Kleid mit dem breiten Matrosenkragen wies weder Knitter noch Rußflecken auf. Aber wie schnell sich das in einer Dampfeisenbahn ändern konnte, wusste ich nur zu gut.
Ich hoffte, auch Gernot Wever würde dafür Verständnis haben. Es war sehr liebenswürdig von ihm, uns mit der Einladung die Billetts für die einfache Fahrt zu dem beliebten Ausflugsort zu schicken, wo er uns am Bahnhof abholen wollte. Da es keine Rückfahrkarten gab, vermutete ich, dass seine Überraschung in der Art der Rückreise liegen sollte.
Wir hatten in der letzten Zeit fast täglich korrespondiert, denn meine Stoffmuster-Entwürfe hatten großes Interesse geweckt. Ich hatte inzwischen das favorisierte Chrysanthemen-Ornament in eine Musterkarte übertragen, und einer der Weber würde es nun auf einem
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