Goldbrokat
Fürsorge, viel zu lange schon hatte mich kein Mann mehr in den Armen gehalten.
Und meine Kopfschmerzen waren auch wie weggewischt!
Die Verpuppung
Mittagssonnenglast -
auf der Tempelglocke schläft
sanft ein Schmetterling!
Taniguchi Buson, Der Schmetterling
Die kaiserliche Raupe hatte begonnen, sich zu verpuppen. Mit geduldigem Interesse verfolgte er die Bewegungen ihres Kopfes, der Achten beschrieb und dabei die beiden Fäden um sich spann, während sie sich um sich selbst drehte. Die Natur barg überraschende Geheimnisse. Während der Monate, die er nun im Kloster weilte, hatte er weit mehr als in den achtunddreißig Jahren seines Lebens gelernt, auch die Wunder der kleinen Dinge zu erkennen und zu bestaunen.
Und obwohl er nun wieder körperlich gesund war, kräftig und ausdauernd, ja sogar beweglicher als früher, war sein Schlaf erneut unruhig geworden und die Träume erschreckender. Er wanderte viel in den warmen Nächten umher, um ihnen zu entfliehen, und es überraschte ihn wenig, dass der Abt an diesem Abend zu ihm kam, um ihn zu einem gemeinsamen Spaziergang aufzufordern. Xiu Dao Yuan war ein altersloser Mann, der zwischen fünfzig und siebzig Jahren alt sein mochte.Weder an seinem ruhigen Gesicht noch an seinen beherrschten, gemächlichen Bewegungen konnte man sein Alter ablesen. Auch seine Stimme war bedächtig, seine Worte wählte er zurückhaltend.
Vor allem war sein Schweigen ausdrucksvoll, und während er neben ihm an dem Bachlauf entlangging, überraschte er sich selbst damit, dass er in Gedanken das formulierte, was er den stillen
Mönch fragen wollte. Während er nach den Worten suchte, sich in der einen oder anderen Weise auszudrücken versuchte, klärte sich sein Geist mehr und mehr.
Sie erreichten eine von Büschen umstandene Wiese, von wo aus man über das Tal blicken konnte. Die Sonne stand schon tief und warf lange Schatten. Im Laub sangen die Vögel ihre letzten Strophen, und im Abendwind lag der süße Duft zahlloser Blüten.
Ein bunt gefiederter Pirol flatterte auf und setzte sich auf die Schulter des Abtes.
Er blieb unbeweglich stehen, wieder einmal war er verblüfft über die Fähigkeiten des Mannes, der so vieles einfach durch seine innere Kraft zu beherrschen schien. Der Vogel zwitscherte sein melodiöses Liedchen und machte dann Anstalten, sich wieder in die Lüfte zu erheben.
Es gelang ihm nicht.
Wann immer er versuchte, sich von der Schulter aufzuschwingen, hielt ihn eine winzige Bewegung des Mönches zurück.
Dann aber ließ Xiu Dao Yuan die Schulter sinken und gab das verwirrte Tierchen frei.
»Er braucht etwas, um sich abzustoßen, baixi long . Aber ich gestattete es ihm nicht, mich als Felsen zu benutzen, sondern gab seinen Bewegungen nach. Es ist keine Magie, baixi long , nur Konzentration und Körperbeherrschung.«
»Ich werde diese Kunst nie beherrschen.«
»Doch, das werdet Ihr. Geht morgen zu den Seidenhäusern und schaut gut zu. Berichtet mir am Abend, was Ihr gelernt habt.«
Er hatte bislang noch immer Blätter geerntet, mehr und mehr, um die hungrigen Raupen zu füttern, aber seit dem Vortag war eine Veränderung eingetreten. Er vermutete, dass die Raupen sich auch dort zu verpuppen begonnen hatten. Unter den Vordächern der Häuser waren nun wassergefüllte Bottiche aufgestellt, unter denen ein Feuer brannte. Die Frauen brachten in
Körben etwas heraus, was ihm zunächst wie Eier vorkam. Dann aber bemerkte ihn die Tsun Mou und winkte ihn zu sich.
Er verbeugte sich ehrerbietig und wurde mit einer Erklärung belohnt.
»Die Kokons werden in das kochende Wasser gelegt, baixi long , damit die Raupe stirbt und wir den Anfang des Fadens finden können.«
Sie wies auf die fast hühnereigroßen, leicht gelblichen Puppen, die in dem siedenden Wasser weiß wurden. Mit einem Reisigbündel rührten einige alte Frauen nach einer Weile darin und fischten dann die zarten Fäden heraus, die daran hängen geblieben waren. Sehr vorsichtig wurden sie über den Rand der Bottiche gelegt, und weitere Frauen nahmen davor Platz, um immer drei, vier Fäden zusammenzuführen, langsam und vorsichtig herauszuziehen und über eine Haspel zu legen. Mit den Füßen bedienten sie dieses Gerät, das sich langsam und stetig zu drehen begann, und der Faden wickelte sich gleichmäßig auf das Gestell. Es sah eigentlich ganz leicht aus. Dann und wann wurde ein neuer Faden hinzugefügt, vermutlich wenn der Kokon abgewickelt war. Es erstaunte ihn, wie lang die Seidenfäden waren,
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