Goldbrokat
Miedermacher, auch daran werden sich die Kundinnen erinnern. Die Lage – nun ja, weniger mondän, aber noch nicht abgelegen.«
»Die Küche könnte ein Vorteil sein, Ariane. Sie hat einen
Herd und einen Spülstein. Sie könnten Kaffee oder Kakao servieren. Ganz abgesehen davon tut man sich mit dem Bügeln leichter, wenn Wasser und Ofen zur Verfügung stehen.«
»Das ist allerdings richtig, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Andererseits, es gibt die Bügeleisen, die man mit Kohle füllt …«
»Wozu Sie aber erst einmal ein Becken mit glühender Kohle benötigen, und außerdem sind diese Eisen scheußlich schwer und gefährlich bei kostbaren Stoffen. Es fällt immer mal ein Glutbröckchen hinaus.«
»Was man so alles bedenken muss.«
»Ach ja, und wenn man glaubt, man habe endlich alles berücksichtigt, dann spielt einem die Realität ganz unerwartete Streiche. Darum sollten Sie noch eine Nacht darüber schlafen und sich dann für die Räumlichkeiten entscheiden, die Ihnen am besten gefallen. Hundert Prozent bekommt man sowieso nie.«
»Sehr richtig, und jetzt werde ich mich zu einer höchstens zu zwanzig Prozent amüsanten Unterhaltung aufmachen. Frau Gülich hat zum Tee eingeladen, ihr fünfzigster Geburtstag ist der Anlass.«
Madame Mira lachte leise.
»Sie haben hoffentlich kein Gedicht vorbereitet.«
»Ich doch nicht.«
»Dann laufen Sie jetzt und machen Sie sich hübsch. Haben Sie das neue Kleid schon fertig?«
»’türlich!«
Jetzt lachte sie sogar laut auf. Aber ich mahnte mich, keine schlechten Angewohnheiten von meinen Kindern zu übernehmen. Ich hatte auch so schon genug davon.
Gernot hatte mir eine Länge des neuen Stoffs geschickt, der nach meinem Chrysanthemenmuster gewebt war. Ein helles Grün als Grundton, die Blumen in Elfenbein. Die Rückseite zeigte das Dessin umgekehrt. Es war die von mir am wenigsten präferierte Farbzusammenstellung; ich hatte ihm ein leuchtendes
Kobaltblau mit Weiß oder einfach Ton in Ton in Dunkelgrün vorgeschlagen, aber er behauptete, kräftige Farben würden sich nicht so gut verkaufen.
Dennoch, das Kleid war schön geworden, das süßliche Grün hatte ich durch tannengrüne Satinbänder und einen ebenfalls dunkelgrünen Chiffonshawl kontrapunktiert, und so gefiel es mir. Aus gegebenem Anlass würde ich es dem Damenkränzchen vorführen.
Tante Caro hatte sich wieder für ihr geliebtes Sperlingsbraun entschieden, jedoch ohne Fifi und Gefieder, nur ihr Spitzenbonnet hatte sie aufgesetzt und mit einer üppigen Schleife um das Kinn gebunden. Ich hatte ein Nichts von Toque auf meinen hochgesteckten Haaren befestigt.
Für eine Nachmittagsgesellschaft waren wir korrekt gekleidet.
Die Damen hatten sich schon weitgehend in Gülichs Salon eingefunden, in zwei Samowaren kochte Tee, feinste Chocolaterien und Patisserien lockten auf silbernen Etageren, kleine goldgeränderte Mokkatässchen und hauchdünne Teetassen aus Chinaporzellan wurden auf schwellenden Reifröcken balanciert, und der Duft der Herbstblumenbouquets stritt mit den Parfümwolken der menschlichen Blütenlese, die sich in dem überheizten Raum versammelt hatte.
Man plauderte, man gratulierte dem Festtagskind, überreichte kleine, damenhafte Gaben. Helenen wurde von einem Gedicht entbunden, das zum Glück zu kurz war, um meine Verseschmiede in Bewegung zu setzen, aber dann überlegten sich die Göttinnen des Schicksals eine besonders widerwärtige Wendung im Webmuster meines Geschicks.
»Wo ist eigentlich unsere liebe Johanna Hempel?«, fragte eine der Damen in die Runde. »Hat sie Ihre Einladung abgelehnt, liebe Frau Gülich?«
Man schwieg. Dann räusperte sich Helene und bemerkte mit leise vibrierender Stimme: »Sie hat einen Kuraufenthalt angetreten.«
»Ach, die Ärmste«, säuselte Tante Caro. »Ich habe gar nicht gehört, dass sie krank war.«
»Nein, ich auch nicht. Was hatte die Gute denn? Ich dachte gestern auch schon fast, mich würde die Grippe ereilen.«
Aha, nun wollte man sich an den Maladien Abwesender ergötzen. Eines der Lieblingsthemen dieses Kränzchens. Nichts ist schöner, als die Symptome anderer zu diskutieren und womöglich selbst mit schlimmeren auftrumpfen zu können.
Doch Johanna Hempel hatte sich offensichtlich eine »diplomatische« Krankheit zugezogen.
»Sie hat sich ein wenig zurückziehen müssen«, wusste Helenes Schwester Etta zu berichten. »Wir werden wohl einige Zeit nichts mehr von ihr hören.«
»Tatsächlich?«
In diesem Wort lag eine Welt
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