Goldbrokat
Vormittag, damit sie die komplizierteren Arbeiten übernahm. Hauchdünne Stoffe verdarb die Maschine, zarte Spitzen vertraute ich ihr nicht an, Kragen, Ärmelsäume, Knopfleisten, alles, worauf das Auge gelenkt wurde, stichelte Nona weit sorgfältiger als die Maschine.
Das neue Leben schien ihr zu behagen. Selbst der hässliche Vorfall im Salon Vaudeville hatte sie nicht verstört. Bereitwillig hatte sie mir von der Schlägerei erzählt und auch über LouLous Schwierigkeiten berichtet. Die Behörden – die finstersten Dämonen der Hölle mochten dereinst die preußischen Beamten braten – hatten gedroht, ihr die Konzession zu entziehen. Aber sie hatte auch Freunde, die sich für sie einsetzten, daher zahlte sie weiter ihren Akteuren die Gage und ermutigte sie, die Zeit zu nutzen, ein neues Stück einzuüben.
Tante Caro hatte sich natürlich bis aufs Äußerste echauffiert,
als sie die Zeitungsnotiz über die Ausschreitungen im Theater gelesen hatte. So berichtete mir Hannah getreulich.
Das Mädchen war unser aller Lichtblick. Die Kinder mochten sie, akzeptierten sogar ihre Autorität und schwiegen fein stille über ihre täglichen Besuche bei mir im Atelier. Obwohl Tante Caro sich sehr wohl denken konnte, wo sie die Nachmittagsstunden verbrachten. Aber sie hatte das wunderbare Talent, das nicht wahrzunehmen, was sie nicht sehen wollte. Wir hatten nach meinem Auszug aus ihrem Haus ein recht angenehmes Wohnarrangement für alle Beteiligten gefunden. Hannah war in mein Zimmer in der zweiten Etage gezogen, Laura bekam das kleine Zimmer unterm Dach, das zuvor Nona bewohnt hatte, für sich, und Philipp durfte das große Mansardenzimmer nachts als das seine betrachten, tagsüber diente es beiden Kindern als Arbeits- und Aufenthaltsraum.
Hannah selbst hatte mir schon gleich nach ihrem Eintreffen Anfang Oktober ihr Herz ausgeschüttet. Keine zwei Monate lang hatte die Verlobung mit Pfarramtsanwärter Kamphoff gehalten, und ihre Entscheidung, sie Knall auf Fall zu lösen, hatte die gesamte Verwandtschaft gegen sie aufgebracht.
»Aber Ariane, ich konnte es nicht ertragen. Ich glaube, ich bin nicht normal. Ich mag nicht, wenn ein Mann mich anfasst. Und er hat es immer wieder versucht. Ich fand es so ekelig.«
»Ich glaube, dass du völlig normal bist, Hannah. Aber es gibt Männer und Männer. Hast du deinen Verlobten lieb gehabt?«
»Ja … nein... eigentlich fand ich ihn nett. Anfangs. Er war so aufmerksam, hörte immer zu und hatte so große Pläne. Weißt du, er wollte vielleicht Missionar werden.«
»Das hätte dich gereizt? Mit ihm in ferne Länder zu reisen, Eingeborene zu bekehren, Armen und Kranken zu helfen?«
»Es wäre anders gewesen, aufregender. Oder nicht?«
»Warum fragst du mich?«
»Oh... äh … ich dachte, weil Philipp und Laura auch so gerne Abenteuer erleben wollen. Und die Bücher über Weltreisen und so, die ihr gelesen habt.«
»Wenn man jung ist, hat man gerne solche Träume«, antwortete ich diplomatisch. »Der Herr Pfarramtsanwärter hat sie aber nicht weiter verfolgt, vermute ich?«
»Nein. Er hat eine Stelle in einer kleinen Klitsche angeboten bekommen. Das war das eine, was mich gestört hat. Er hat einfach zugesagt, ohne mich zu fragen.«
»Das ist zugegebenermaßen sein Recht. Ob es guter Stil ist, ist eine andere Frage.«
»Ja, sicher. Es war ja auch nicht nur Fernweh... Na ja. Aber …«
»Aber Kleinkleckersdorf ist eben nicht Surabaya, nicht wahr? Darum kühlte deine Begeisterung für ihn ein wenig ab, stimmt’s?«
»Ich bin so kleinmütig, Ariane. Ja, er kam mir plötzlich so langweilig vor. Und dann, nachdem wir verlobt waren, hat er angefangen, mich zu küssen. Ich meine, das macht man ja, aber ich mochte es gar nicht gerne.«
Ich unterdrückte einen milden Schauder. Der verhinderte Missionar hatte einen unangenehmen Mundgeruch, der mich schon bei unserem Besuch auf Abstand gehalten hatte. Ob es irgendeine selbstlose Form der Liebe gab, die drüber hinwegsehen – oder -riechen – konnte, war eine Frage für sich.
»Hannah, es gehört meiner Meinung nach zu einer Ehe dazu, dass man seinen Gatten auch körperlich mag. Es wird viel von reiner Liebe gesprochen, von Pflicht und Duldung, aber ich fürchte, das sind Spiegelfechtereien.Wenn du dich von ihm abgestoßen gefühlt hast, dann war deine Entscheidung richtig. Geschickter wäre es natürlich gewesen, du hättest es gar nicht erst zur Verlobung kommen lassen.«
»Ja, ich weiß.« Kleinlaut drehte Hannah ihr
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