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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Vergangenheit preisgeben? Es gab so viel, an das sie nicht mehr erinnert werden wollte, jetzt, da das Leben ruhig und sicher für sie geworden war. Andererseits, genau wie
Madame Ariane schuldete sie auch Madame LouLou Erklärungen.
    »Verzeih, Liebes, du musst mir nichts erzählen.Wir tragen alle unsere Geheimnisse mit uns, und ich werde dich gewiss nicht drängen.«
    »Ich weiß, Madame. Aber … Ich habe Madame Ariane etwas erzählt. Sie sollen es auch wissen. Oder hat sie...«
    »Madame Ariane kann zwar ihre Zunge nicht hüten, wenn sie in Zorn gerät, Nona. Aber ihr Schweigen über die Geheimnisse – ihre eigenen wie die ihrer Freunde – ist bei ihr so tief wie die Kellergewölbe unter dem Dom.«
    »Ja, sie kann schweigen sehr stille, aber ich weiß auch von ihr Geheimnis. Und das lasse ich in meinem Keller.«
    »Selbstverständlich, Nona.«
    »Aber ich erzähle Ihnen von rumal. «
    Wieder berichtete Nona von dem Waisenheim, der Arbeit bei dem Seidenbauern, und als sie den Namen Charnay erwähnte, zuckte Madames Augenbraue in die Höhe.
    »Sie kennen Monsieur de Charnay, Madame?«, fragte sie leicht fassungslos, verschloss aber sofort den Mund wieder, um nicht Madame Arianes Reaktion auf diesen Namen auszuplaudern.
    »Ja, ich bin ihm begegnet. Letztes Jahr im Sommer. Er – nun, erzähl weiter.«
    »Ja, Madame. Als ich vierzehn war, da kam eines Nachts im August eine Gruppe Männer auf das Gut. Matelots, aus Marseille. Ganz leise kamen sie, mit drei großen Wagen. Aber Monsieur ist misstrauisch, weil Lager voll mit Rohseide, und er hat Wachen aufgestellt. Es gab Alarm und dann Angriff. Fast so wie heute. Ich hatte auch Angst, versteckte mich im Raupenhaus. Die Matelots, die Matrosen, sie waren Kämpfer, sie überwältigten Arbeiter, und Monsieur kam mit Gewehr. Ich beobachte durch Ritzen von Schuppen. Ein Mann, ein großer mit Bart, aber kein Matelot, er geht auf Monsieur zu und die beiden ringen. Als Monsieur versucht zu fliehen, plötzlich weißes Tuch um sein Hals, und er fällt nieder. Danach bindet der Mann ihn
und schleppt ihn in den Schuppen, ganz nah an mir vorbei. Er wirft ihn in eine Ecke. Dann geht er raus und holt eine Fackel. Ich beinahe sterben vor Angst, Madame.Weil er anzünden will, all den trockenen Reisig und so. Aber da sieht er mich. Ich mache mich ganz klein, aber er bringt die Fackel raus und kommt zurück. Er beugt sich zu mir und sagt Seidenwürmchen zu mir und hebt mich hoch, weil ich vor Zittern nicht sprechen und nicht laufen kann. Madame, es war so seltsam. Es waren brutale Männer, aber er war lieb zu mir und tröstet und sagt, ich soll zu Nachbarn laufen und Feuer schreien. Ich verlier langsam Angst und kann auch wieder stehen und sprechen. Er betrachtet mich genau und, Madame, er sagt: ›Du wirst es immer schwer haben, Würmchen. Aber Seide ist deine Freundin. Nimm das und übe.‹ Und er zeigt mir Werfen mit Schal einmal, paarmal. Und das Zuziehen, Madame. Wenn es schnell gemacht wird, bricht es den Hals. Dann schickt er mich weg. ›Geh!‹, sagt er. ›Und dreh dich nicht um.« Ich will gehorchen, Madame, aber dann nimmt er Fackel wieder und geht in Schuppen. Und da konnte ich nicht laufen. Er will verbrennen Monsieur, und das ist Mord. Also bin ich hinter ihm hergegangen und habe ihn im Arm gefallen und gefleht, nicht zu brennen. Aber seine Augen waren kalt und herzlos. Ich bin auf Knie und habe gesagt, Monsieur ist doch ein Mensch. Und er auch. Und dann rief draußen jemand meinen Namen. Es war ganz seltsam, Madame. Ich werde nie verstehen, was passierte. Der Mann sah mich endlich wieder an und murmelte: ›Nona? So heißt du, Mädchen?‹ Ja, sage ich, und er sieht zu Monsieur hin. ›Nona, die Spinnerin. Wenn denn das Schicksal selbst beschließt, dein Leben zu verschonen, Charnay, dann ist es nicht an mir, es zu vernichten.‹ Er gibt mir Fackel und hebt Monsieur hoch. Er ist gebunden und hat Knebel im Mund, aber Augen flackern wild. Der Mann wirft ihn über Schulter wie Sack Kartoffeln, trägt ihn raus und schmeißt ihn in die Hecke. Ich laufe hinterher, und er sagt noch einmal: ›Dein Leben liegt in der Hand der Schicksalsgöttinnen, nicht in der meinen. Aber dein Hab und Gut, das nehme ich dir, so wie
du mir das meine genommen hast.‹ Und dann hat er mir Fackel weggerissen und Schuppen angezündet. Die Wagen hatten die Matelots schon mit der Seide beladen, und bevor die Nachbarn kamen, waren sie lange fort.«
    »Großer Gott, was für eine Geschichte,

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