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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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passiert war, durfte Madame nicht geschehen. Um keinen Preis. Und wenn sie selbst dabei draufging.
    Ohne zu wissen, wie er dahin gekommen war, hielt Nona den schmalen Seidenschal in ihrer Hand. Sie sprang aus ihrer schützenden Ecke zu der rangelnden Gruppe, und mit einer gleitenden, lautlosen Schlangenbewegung legte sich die glatte Seide um den Hals des Mannes, der eben LouLous Trikot zerriss. Das beschwerte Ende landete wieder in Nonas Hand, sie wollte gerade mit einem kurzen, scharfen Ruck daran ziehen. Doch in dem Augenblick schlug Madame ihm mit aller Kraft ihre Faust ins Gesicht. Sein Kopf flog zurück, die Seide rutschte Nona aus den Fingern. Sie fing den Stoff auf, ließ den Schal zurück in ihre Hand gleiten und wirbelte ihn Richtung des anderen Matrosen. Der wich seitwärts aus, und nur das bleibeschwerte Ende traf sein Auge. Immerhin trat er verdutzt einen Schritt zurück und fiel von der Bühne. Einer seiner Kumpane kam mit ihm zu Fall, und in dem Augenblick stürmten die Gendarmen in das Theater.
    Nona kniete sich neben LouLou nieder und nahm ihre Hand.
    »Madame?«
    »Schon gut, Nona. Nur ein paar blaue Flecke.«
    Dann schloss sie die Augen. Und riss sie gleich darauf wieder auf.
    »Was hast du mit dem da getan?«
    Wieder übermannte Nona das Zittern, als sie zu dem regungslos daliegenden Mann schaute. Sie traute sich nicht, aufzustehen,
aber Madame kam schon auf die Knie und fühlte nach seinem Hals.
    »Lebt noch. Wär aber nicht schade drum gewesen«, knurrte sie mit zusammengebissenen Zähnen.
    Der Tumult war einigermaßen abgeklungen, aber nun wollten die Ordnungshüter wissen, wodurch er entstanden war.
    »Nona, verschwinde! Schnell!«
    »Aber Madame!«
    »Husch. Gehorch mir!«
    Nona schaffte es gerade noch, ungesehen durch den Seitenausgang zu huschen, als zwei der Gendarmen zu Madame auf die Bühne traten.
     
    Es war eine lange, einsame Nacht, die Nona in ihrem Zimmer verbrachte. Sie konnte nicht schlafen. Wie könnte sie schlafen, nachdem das alles passiert und Madame noch nicht wieder zu Hause war. Die Standuhr unten schlug getreulich alle Viertelstunde, ließ die Mitternacht vergehen und kündete bereits die erste Stunde des neuen Tages.
    Endlich ging die Haustür, und sofort lief sie die Treppe hinunter.
    Madame sah müde aus, ihre rechte Wange war gerötet, ihre wirren Haare mit einem Tuch zusammengebunden.
    »Nona, hast du auf mich gewartet?«
    »’türlisch!«
    Madame seufzte.
    »Komm, wir machen uns eine große Kanne Kakao. Ich kann jetzt nicht einfach zu Bett gehen.«
    »Nein, Madame. Das kann man nicht.«
    Sie setzten sich an den Küchentisch, und während Madame die Glut im Herd wieder anfachte und mit Milch, Zucker und Kakaopulver hantierte, schimpfte sie leise vor sich hin.
    »Diese Idioten von Polizei. Sie wollen mir die Schuld anhängen. Wegen Sittenverstoßes und unanständigem Verhalten. Meine zügellosen Darbietungen hätten die Gäste aufgepeitscht.«

    »Aber das stimmt doch gar nicht.«
    »Doch, Nona. In ihren Augen stimmt es. Die scheinheiligen Spießbürger werden es immer so sehen. Auch wenn sie selbst die größten Schweine sind und gierig hinter jeder Pikanterie hergeifern wie die brünstigen Eber.«
    »Wird man Ihnen Schwierigkeiten machen?«
    »Ja, eine Weile. Aber sie werden dafür bezahlen. Hier ist dein Kakao, Liebes. Und nun solltest du mir erzählen, auf welche Weise du mir den stinkenden Lumpenhund vom Leib geschafft hast.«
    »Hiermit, Madame.«
    Nona zog den Seidenschal aus ihrer Rocktasche und legte ihn auf den Tisch.
    »Ein einfacher Schal? Ich habe bemerkt, dass du ihn immer bei dir hast. Ich dachte, du brauchst ihn, um deinen Hals zu wärmen oder so.«
    »Es ist ein rumal, Madame. Eine Waffe.«
    »Den Eindruck habe ich allerdings auch. Du bist nicht so ganz wehrlos, kleiner Seidenwurm, was?«
    »Ich hatte sehr viel Angst, Madame.«
    »Ich weiß. Und dennoch.« Madame ließ die Seide durch ihre Finger laufen und befühlte das beschwerte Ende. »Blei?«
    »Blei.«
    »Ich verstehe. Man braucht eine gewisse Fertigkeit, ihn so zu schlingen, dass er fest sitzt, aber dann reicht vermutlich ein kleiner Ruck. Seide reißt nicht so schnell.«
    Nona nahm das schmale Tuch und wirbelte es um die mit einer Holzkugel versehene Rückenlehne eines Küchenstuhls.
    »Ich habe viel geübt, Madame.«
    »Gott sei Dank. Wer hat dir aber den Trick verraten? Oder bist du selbst darauf gekommen?«
    Nona rollte den Schal zusammen. Sollte sie wirklich wieder etwas aus ihrer

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