Goldbrokat
richtete sich dort für die Nacht ein. Ich war fasziniert von ihr, Ariane. Die Gerüchte sagten, dass sie vor zehn Jahren nach Köln gegangen und dort zu Reichtum, nicht allerdings zu Ansehen gekommen war. Wodurch, das war mir damals noch nicht klar, wohl aber erkannte ich bunte Seide, wenn ich sie sah. Und die wollte ich auch haben. Nicht den starren, schwarzen Taft. Also schlich ich mich abends heimlich aus dem Haus und klopfte zaghaft an ihre Tür. Sie war etwas erstaunt, mich zu sehen, ließ mich aber ein und hörte sich meine gestammelten Erklärungen und Beileidsbekundungen an.«
»Was zumindest nett von dir war.«
»Nicht nett, eigennützig. Das durchschaute sie ziemlich schnell. Offenbar sah sie in mir aber Möglichkeiten, und so schlug sie mir nach einem längeren Gespräch vor, ich solle meine Habseligkeiten in eine Tasche – nicht mehr – stecken, mich ohne Abschied aus dem Haus begeben, zu Fuß zur nächsten Poststation
gehen und dort auf sie warten. Ich knüpfte also ein paar liebgewordene Kleinigkeiten und mein schwarzes Kleid in ein Tuch und verließ vor dem Morgengrauen mein Elternhaus.«
»Mutig.«
»Mut der Verzweiflung vielleicht und sicher auch ein Fehler, aber letztlich keiner, den ich wirklich bereue. Andere Dinge schon, das nicht. Obwohl mich die herbe Wirklichkeit bald einholte. Sie hatte mir Arbeit als Serviererin in ihrem Lokal versprochen, aber das war ich nur zwei Wochen lang. Dann verhökerte sie meine Jungfräulichkeit für drei bunte Seidenkleider und danach meine Dienste für einen weit geringeren Lohn. Immerhin war sie so klug, mir in der ersten Zeit die Freier mit den ›Sonderwünschen‹ vom Hals zu halten, und gab mir ein paar nützliche Ratschläge, wie ich es vermeiden konnte, schwanger zu werden.«
»Oh!«
»Gebe ich dir gerne weiter, bei Gelegenheit.«
»Ähm, danke.« LouLou hatte es geschafft, mich weitgehend sprachlos zu machen. Dass sie sich als grande horizontale ihr Geld verdient hatte, war mir aus ihren vorherigen Erzählungen klar gewesen, doch ich hatte es mir in meiner Naivität so vorgestellt, dass sie als Geliebte von den Herren ausgehalten worden war.
»Schlimmer als du dachtest, was?«
»Na ja, anders.«
LouLou legte mir ihre Hand über die Finger.
»Ich habe lange überlegt, ob ich es dir sagen sollte. Aber du musst wissen, welche Geister in meiner Vergangenheit herumspuken. Ich bin schließlich Gernots Schwester.«
Ich hatte mich immer für tolerant gehalten, nicht so engstirnig wie die vornehme Gesellschaft, aber die Vorstellung, dass LouLou als ganz gewöhnliches Freudenmädchen ihr Leben gefristet hatte, versetzte mir doch einen Stich. Aber was sollte ich nun daraus machen? Ihr die Freundschaft aufkündigen?
Ich beschloss, meine sittliche Empfindlichkeit später zu durchdenken und das Gespräch erst einmal weiterzuführen.
»Je nun, LouLou. Immerhin hast du diese … mhm... Zeit hinter dir gelassen.«
»Das habe ich, obwohl es knapp war, Ariane. Mit zweiundzwanzig war ich ziemlich herunter. Ich tingelte durch die schlechteren Cafés und Kneipen, wedelte ein bisschen mit den Röcken zur Musik und hoffte auf eine kostenlose Mahlzeit und ein paar nächtliche Einnahmen. Dabei traf ich eines Abends einen Mann, der mich an seinen Tisch holte, mir ein Essen bestellte und einen guten Rat gab. Den habe ich befolgt. Darum bin ich hier.«
»Das war jetzt aber eine sehr gekürzte Fassung der Geschichte. Meine Kinder würden dich als grässlich schlechte Geschichtenerzählerin einstufen.«
LouLou lächelte schief.
»Ja, es ist eine Kurzfassung. Aus verschiedenen Gründen will ich sie nicht länger erzählen, aber eines Tages werde ich auch das tun. Nur so viel, Ariane – das war der Rat des Mannes: ›Verkauf es teuer! Die Männer wollen ihre Triebe unbedingt befriedigt haben. Je schwerer das für sie zu erreichen ist, desto höher kannst du den Preis setzen. Lock sie, aber lass sie nicht.‹ Ich fand es sehr einsichtig, Ariane. Und da er einen Dienst von mir verlangte, setzte ich gleich einen hohen Preis an. Er lachte und bezahlte ihn. Mit diesem Kapital baute ich mir ein neues Leben auf. Nach seinem Rat handele ich heute noch. Du solltest es auch.«
»Ich?«
»Die vornehmen Damen und Mädchen tun doch nichts anderes als die bezahlten Kokotten. Sie zwängen ihren Körper in Korsetts, die ihre Rippen verbiegen, damit ihre Taille zerbrechlich wirkt, sie tragen Kleider, die ihre Schultern und Rücken entblößen, manche Damen lassen ihre Brüste
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