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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Form zuzubereiten. Gäste erhielten natürlich auch gewürzte Schweinefleischbällchen, knusprige Ente oder andere Delikatessen.
    Da er nun auch nicht mehr im Kloster wohnte, hatte er auch dann und wann erwogen, sich wieder eine Geliebte zu nehmen. Aber die wenigen jungen Damen der Gesellschaft waren prüde und gut behütet, mit einer verheirateten Frau wollte er kein Verhältnis anfangen, obwohl einige von ihnen ihm ihr Interesse signalisiert hatten. Schanghai war ein Dorf in dieser Hinsicht, er wollte nicht noch mehr ins Gerede kommen. Und eine Chinesin – nach Ai Ling stand ihm der Sinn danach nicht mehr.
    Es sprach sich seine asketische Lebensweise herum, wurde belächelt, und man nannte ihn spöttisch einen geläuterten Sünder und verquasten Spinner. Hinter seinem Rücken tuschelte man, der Tod von Ai Ling und Tianmei und vor allem der dauernde Opiumgenuss habe ihn aus der Bahn geworfen. Einer der Herren nahm ihn schließlich zur Seite und empfahl ihm, einen längeren Heimaturlaub zu nehmen. Es sei nicht gut, sich zu sehr mit den Gebräuchen der Einheimischen vertraut zu machen. Schließlich gehöre man doch einer christlichen Nation an. Und sei dem Vaterlande verpflichtet. Vor allem in seinem Auftreten gegenüber den Schlitzaugen, nicht wahr?

    Er nahm Tratsch wie Belehrung ungerührt hin, konzentrierte sich auf die anstehenden Arbeiten und wickelte auf seine Art den Handel mit Tee, Seide und Porzellan ab. Wann immer er Zeit hatte, ritt er nach Suzhou hinaus, wo sein Haus inmitten der Gärten auf ihn wartete. Schanghai war eine geschäftige Hafenstadt, eng, schmutzig, laut, geldgierig und brutal. Suzhou war eine Perle der Schönheit. Selbst in den kargen Wintermonaten, in denen die Natur ruhte, die Blüten sich noch in ihren Knospen verbargen und schwarze Krähen auf den kahlen Ästen kauerten wie trübsinnige Beamte, ging von den Gärten der Hauch vollendeter Harmonie aus. Manchmal ruderte er auf den schmalen Wasserstraßen, die das Gebiet wie ein Netz durchzogen, duckte sich unter den runden Steinbögen der Brücken, schob gemächlich die blattlosen sich ins Gewässer neigenden Zweige der Trauerweiden auseinander und erfreute sich an dem lautlosen Flug eines Kranichs über dem bleigrauen See.
    In diesen Zeiten wurde ihm bewusst, wie sehr er das Land liebte. Es war groß, nur einen Bruchteil erst hatte er gesehen. Seine Gegensätze so gewaltig wie seine Ausdehnung. Dragos Herz wurde berührt von dem ausgewogenen Ebenmaß der stillen, kunstvolle Anlagen, den anmutigen gebogenen Dächern der Pagoden, dem geisterhaften Klang der Rohrflöte, die ein Fischer auf seinem Boot spielte. Doch verschloss er seinen Blick auch nicht vor den unvorstellbaren Grausamkeiten, die ebenso das Bild Chinas prägten. Die skelettdünnen, Blut hustenden Rikscha-Kulis, die opiumsüchtigen, verstümmelten Bettler, die Leichen der ausgesetzten Mädchenkinder in den stinkenden Gossen, die blutige Zurschaustellung öffentlicher Hinrichtungen – ja, die begegneten einem auch. Genau wie die prunkvollen Züge der Mandarine mit ihrem Gefolge, mit Gongs und Glocken, bunten Quasten und goldbestickten Bannern, die zierlichen, weiß und rosa geschminkten Blumenmädchen und die knatternden Seidendrachen in der Luft eine weitere Facette des reichen Lebens bildeten. Er liebte aber auch die schwarzen, trägen Wasserbüffel, die geduldig die Felder pflügten, die smaragdgrünen Reisterrassen, den
Schein der Lampen in der Dämmerung, die die Kormoranfischer auf ihren flachen Kähnen mitführten, und die geblähten Segel der Dschunken auf dem Meer.
    Er hatte sich in seinem Leben wieder eingerichtet. Es bereitete ihm Freude, sein Geschäft blühen zu sehen, sein Vermögen zu mehren und hochwertige Waren nach Deutschland schicken zu können. Die Vergangenheit ruhte, er hatte seinen Frieden gemacht mit ihren Geistern, die Wunden waren verheilt.
    Bis auf eine.
    Sie lag tief in ihm verborgen. Sie hatte er selbst in dem langen Jahr bei den Mönchen nicht berühren mögen. Und nun, da die anderen zu schmerzen aufgehört hatten, drängte sie sich wieder und wieder an die Oberfläche.
    Er schob sie beiseite, so gut es ging.Verluste konnte er betrauern, Verrat verzeihen, den Schaden an seinem Stolz vermochte er nicht zu verwinden.
    Als das chinesische Neujahrsfest in der ersten Februarwoche nahte, entschloss er sich daher, dem Kalten Berg einen weiteren Besuch abzustatten.
    Der Abt empfing ihn, als sei er nie fort gewesen. Er wies ihm seine alte Kammer zu, dort

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