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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Ausrede.«
    Um Ausreden war das großspurige Mitglied des Hongs nie verlegen, das war ihm schon häufig aufgefallen. Im Großen und Ganzen waren die Kaufleute der Gilden ehrlich, kleinere Betrügereien übersah man geflissentlich, da auch sie der Willkür der Beamten ausgeliefert waren. Aber das hier ging zu weit.
    Mit vier Angestellten – es machte mehr Eindruck, wenn man mit Gefolge auftrat – ließ Drago tai pan sich also am Nachmittag im Palankin durch die engen Gassen tragen. Lians Haus lag abseits vom europäischen Settlement, ein weitläufiger Palast mit vier drachenstrotzenden Toren, die in dämmrige Innenhöfe führten. Der Hausherr selbst erschien, wie es Sitte war, auf den Stufen, und während er aus seinem Palankin kletterte, versank der Handelsherr bereits in viele tiefe Verbeugungen. Er tat es ihm nach, in fein abgewogener Tiefe, die sein Gegenüber mit unbewegter Miene registrierte. Dieser bat sie schließlich in den großen Empfangsraum, und die üblichen Höflichkeitsrituale um das Platznehmen auf dem Ehrenplatz begannen. Während der gesamten Zeremonie beobachtete er seinen Gastgeber eingehend, doch nicht aufdringlich. Der Mann war sich offensichtlich durchaus bewusst, weshalb dieses Treffen anberaumt worden war. Und er fühlte sich nicht besonders wohl in seiner Haut. Hatte er auf eigene Faust gehandelt oder auf Anweisung oder gar unter Druck? Das galt es herauszufinden. Aber nicht auf direktem Wege.
    Tee wurde serviert, allerfeinster schwarzer Tee selbstverständlich in zartem, fast durchsichtigem Porzellan. Auf Dutzenden von Lacktabletts und Tellern reichte man kleine Leckereien, unter vielen Verneigungen wurde gegessen und getrunken. Dabei drehte sich das Gespräch beständig um Allgemeinplätze und
wurde geschmückt mit den blumigsten Floskeln der Ehrerbietung. Ein Spiel, in dem die Fäden zwischen den Kontrahenten gesponnen und auf ihre Stärke abgetastet wurden. Er spürte die Unruhe seiner europäischen Begleiter und die milde Verwunderung von George an seiner Seite. Er verstand sie gut. Sein Verhalten musste ihnen ungewöhnlich vorkommen. Früher hatte er in solchen Situationen schnell und mit harten Worten seinen Standpunkt klargemacht.Auch das hatte Erfolg gezeigt. Manchmal, nicht immer. Einige der chinesischen Partner hatte er damit derart brüskiert, dass sie danach nie wieder Geschäfte mit ihm getätigt hatten. Diesmal ging er überhaupt nicht auf das Problem ein, sondern lobte ausdrücklich Lians Redlichkeit und seine guten Beziehungen zu seinen Geschäftspartnern in immer neuen Formulierungen. Lian hielt es ebenso und beteuerte inständig, wie unsagbar viel ihm an der Harmonie zwischen Ausländern und den Söhnen des Himmels lag. Als er sich sicher war, dass Lian aus eigenem Antrieb minderwertige Ware geliefert hatte, stellte er seine Teetasse mit Nachdruck nieder und vollführte eine weitere Verbeugung.
    »Ich habe mit großem Gewinn die Schriften Eures weisen Meisters Kung tzu studiert, Lian xiansheng . Einer seiner Ratschläge ist mir besonders gut im Gedächtnis geblieben. Er lautet: ›Einen Fehler machen und sich nicht bessern: Erst das ist ein wirklicher Fehler.‹«<
    Damit erhob er sich, gab seinen Begleitern ein Zeichen, es ihm gleichzutun und wandte sich zum Ausgang.
    Lian eilte ihnen voraus, und mit weiteren tiefsten Verbeugungen wurden sie verabschiedet.
    Am nächsten Tag waren die Seidenballen gegen solche hochwertigster Qualität ausgetauscht.
     
    Sein Umgang mit den deutschen, französischen und insbesondere den britischen Angehörigen des Schanghaier Settlements verlief holpriger als der mit den Chinesen. Das lag unter anderem daran, dass er sich nicht mehr besonders gerne an deren
Geselligkeiten beteiligte. Es gab einige Clubs, die man abends aufzusuchen pflegte. Dicker Tabaksqualm, Whisky, Rum und Cognac sowie das Verzehren mächtiger Fleischportionen gehörten zu den in diesen Räumen geübten Ritualen. Nicht dass er den Männern diese Gepflogenheiten übel genommen hätte, hatte er sich doch noch vor einem Jahr selbst daran beteiligt. Doch seit er die leichte Nahrung der Mönche zu schätzen gelernt hatte, schmeckten ihm fettes Fleisch und dicke Saucen nicht mehr. Ein paarmal hatte er sich Gemüse bestellt, aber das matschig gekochte, geschmacklose Grünzeug widerte ihn ebenso an. Also nahm er seine Mahlzeiten lieber in seinem Haus ein, wo er seinem einheimischen Koch zu dessen äußerster Genugtuung Anweisung erteilt hatte, ihm Reis und Gemüse in delikater

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