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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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nun ein Bankert am Hals. In den ehrbaren Häusern wird sie natürlich nicht mehr genommen.«
    Ich seufzte. Das mit der Ehrbarkeit war eben so eine Sache. Aber LouLou hatte recht. Es war einfach zu viel. Ich brauchte jemanden, der die Asche raustrug und das Nachtgeschirr leerte, die Teppiche kehrte und die Fenster putzte, den Abwasch machte und den Kamin richtete. Alles keine schweren Arbeiten, aber sie fraßen mir die Zeit weg, die ich für meine Schneiderei, die Musterentwürfe und meine Kinder benötigte.
    »Schick sie vorbei.Wenn sie keine Schlampe ist, kann sie halbtags hier arbeiten.«
    »In Ordnung. Und jetzt noch mal – wie stehst du zu meinem Bruder?«
    »Ich schätze und respektiere ihn.«
    »Mhm. Na gut, mehr kommt da wohl nicht von dir.« Sie stand auf und ging zwischen Geschirrschrank und Herd hin und her, dann setzte sie sich wieder hin und sah mich an.
    »Du weißt nichts von unserer Familie.«
    »Nicht sehr viel.«
    »Du solltest etwas mehr wissen.« Sie betrachtete einen Keks, legte ihn dann aber wieder in den Korb zurück. »Unsere Eltern waren Heimweber in Haan. Sie stellten die Stoffe für eine Elberfelder Firma her. Wir besaßen ein kleines Haus, einen Garten, in dem wir überwiegend Kohl anbauten, einen Ziegenstall und ein paar Hühner. Unser Vater und die ältesten Jungen zogen freitags zu Fuß nach Elberfeld, um den Putzbaum mit der fertigen Ware abzuliefern und den neuen Kettbaum mitzunehmen. Dafür gab es dann den Lohn. Einen dürftigen Lohn, zumal
meine Mutter Jahr um Jahr einen Esser mehr auf die Welt brachte.«
    »Gernot hat mir erzählt, dass er schon früh mitarbeiten musste.«
    »Ja, das mussten wir alle. Es ging streng zu in unserer Familie. Meine Eltern glaubten an einen Herrgott, der verdächtige Ähnlichkeit mit einem preußischen Offizier hatte und lediglich einer kleinen Schar Auserwählter gestattete, seiner Gnade teilhaftig zu werden. Der Rest der Welt, und dazu gehörten wir natürlich, wird von oben streng beaufsichtigt, damit der Schaden, den die Menschheit anzurichten in der Lage ist, so gering wie möglich bleibt.«
    »Das hört sich sehr wenig unterhaltsam an.«
    »Das war es auch. Und es blieb nicht aus, dass sich dadurch Rebellion entwickelte. Mein ältester Bruder verließ im Streit das Haus, um in einer Fabrik zu arbeiten, schloss sich dort kommunistischen Aufrührern an und wurde erschossen. Meine jüngere Schwester brannte mit einem Färber durch, wurde schwanger und ging ins Wasser. Eine andere Schwester versuchte ihr Glück auch in der Fabrik, geriet in eine Maschine und wurde getötet. Mein Bruder …«
    »Mein Gott, LouLou!«
    »Ich hör schon auf.«
    »Nein, erzähl weiter. Ich weiß, dass du und Gernot die letzten überlebenden Kinder seid.«
    »Ein paar von den elenden Würmern wurden keine drei Jahre alt, aber das war ja Gottes Wille. Ariane, ich habe es ausgehalten, bis ich achtzehn war. Drei Jahre Schulbildung hatte ich, das ABC und ein bisschen Rechnen gelernt, ansonsten konnte ich schwarze Seide weben. Sehr feste, starke, schwere Seide, wie die Frauen sie bei uns trugen, die es sich leisten konnten. Meist bekam man das erste Seidenkleid zur Hochzeit. Später diente es dann als Sonn- und Feiertagsgewand, und die meisten Frauen wurden darin auch begraben.Viel zu häufig nach dem Kindbett. Ich erhielt mein schwarzes Kleid zur Taufe des letzten Sprösslings
meiner ausgelaugten Mutter.Wahrscheinlich ahnte sie, dass das ihr Abschiedsgeschenk an mich war. Ein starres Gebilde, das mich vom Kinn bis zu den Fingerspitzen und den Füßen verhüllte. Ich habe es in meinem Leben dreimal getragen. Bei besagter Taufe und ein halbes Jahr später bei der Beerdigung unseres Nachbarn. Da allerdings passierte etwas, das auch in mir die Rebellion in Gang setzte. Die Enkelin des Alten tauchte nämlich unversehens auf dem Friedhof auf. Du musst dir das Bild vorstellen. All die biederen, frommen Pietisten in ihren schwarzen Anzügen und Kleidern, und dann kam die Frau, aufgeputzt mit einem gelb-rot gestreiften Kleid, roten Unterröcken und einem federbesetzten Hut, an das Grab stolziert, warf einen abschätzigen Blick auf den Sarg und fragte dann mit lauter Stimme nach dem Advokaten.«
    »Dramatisch.«
    »Wirkungslos. Keiner antwortete ihr. Aber alle wussten natürlich, dass sie die Erbin war. Die Gesellschaft wandte sich geschlossen von ihr ab, niemand grüßte sie, niemand sprach ihr sein Beileid aus. Sie scherte sich nicht viel darum, sie suchte das Haus des Alten auf und

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