Goldfalke (German Edition)
gehen könnte. Da wären ein paar zupackende Hände gewiss willkommen, die auch andernorts einen guten Brautpreis erzielen könnten.“
Erst g estern noch hatte der Onkel geklagt, wie viel Geld er wohl würde drauflegen müssen, um Kiana endlich an den Mann zu bringen. Und nun, da er den Hauch eines Vorteils erkannte, fing er zu feilschen an. Ganz so, wie es den Gepflogenheiten der Händlerfamilie entsprach, der er entstammte.
Doch Hameed Rustami war nicht dumm. „Es wäre aber schön, wenn es Hände wären, die Erfahrung hätten in der Landwirtschaft.“
„ Junge Leute lernen schnell“, schmetterte Onkel Abdullah den Einwand ab. „Und wenn man ein Mädchen zu harter Arbeit erzieht, ist es gewohnt, sich überall nützlich zu machen.“
„ Das ist gewiss wahr“, musste sein Verhandlungsgegner einräumen. „In der Tat hat es mich beeindruckt, wie deine Nichte bei unserem letzten Besuch schon alle Schaffelle auf unseren Karren gestapelt hatte, noch bevor wir das Geschäftliche erledigt hatten.“
„ Kiana ist ein fleißiges Mädchen. Die Feldarbeit wird sie schnell lernen, du wirst sehen. Auch ansonsten ist sie ruhig und gehorsam, wie es sich gehört.“ Onkel Abdullahs Tonfall klang aufrichtig.
Doch Kiana wusste es besser.
„Deswegen wollen sie dich also als Braut für Yusuf“, flüsterte Madina, die ebenfalls gespannt gelauscht hatte. „Als Arbeitstier.“
Kiana erinnerte sich an den Eimer in ihrer Hand. W enn sie nicht bald mit dem Wasser ankam, würde ihre Tante sehr wütend werden. Und - noch schlimmer - die Gäste würden auf ihren Tee warten müssen. Kiana hätte alles getan, um die Rustamis zufrieden zu stellen. Nichts wäre schlimmer als das Schicksal einer alten Jungfer, die ihr restliches Leben hier fristen musste. Hier bei der stets missbilligenden Tante und dem stets verächtlichen Onkel.
Arbeitstier?
Mit Freuden würde sie Tag und Nacht schuften, um von hier weg zu kommen. Weg von der Schande ihrer Geburt. Weg von der Schuld, die sie auf sich geladen hatte bei dem Brand im Frühjahr. Weg von den viel sagenden Blicken.
Weg von allem.
Mit den Rustamis hatte Onkel Abdullah ganz bewusst Bewerber ausgewählt, die jenseits der Berge lebten und sich bei ihren Besuchen hier in der Stadt vor allem um ihre eigenen Geschäfte kümmerten und weder genügend Zeit noch genügend Bekannte hatten, um in Berührung mit den hiesigen Gerüchten zu kommen. Zumal einige ihrer unter dem Deckmantel des Schafhandels geführten Geschäfte selbst genügend Brennstoff für Gerüchte boten, die es tunlichst vor den Augen und Ohren allzu neugieriger Schwätzer zu verbergen galt. Oh ja, Kiana würde ihnen zeigen, wie gut sie arbeiten konnte! Sie griff sich drei weitere Eimer und ging nach draußen.
Da sich der Brunnen in Sichtweite des Hauses befand, durfte Kiana zum Wasserholen ohne männliche Begleitung gehen. Sie wusste, dass man sie vom Wohnzimmer aus sehen konnte, wenn man sich ein bisschen streckte. Früher waren die Fensterscheiben geschwärzt gewesen, damit bloß kein unkeuscher Männerblick ins Innere des Hauses dringen konnte, doch jetzt verhängten weder Fensterscheiben noch Vorhänge die Sicht. Nach dem Brand hatte das Geld nur für das Nötigste gereicht. Alle anderen Ausgaben mussten warten. Es war erstaunlich, wie das, was einst als unverzichtbar galt, bei Veränderung der Lage auf einmal völlig entbehrlich wurde.
Fest entschlossen, möglichen Beobachtern nur das Bild fleißiger Sittsamkeit zu zeigen, stellte Kiana ihre Eimer auf die fleckige Betonplatte, in der die Wasserpumpe fußte, und rückte einen der Eimer unter das Ausgussrohr. Dann nahm sie den Pumphebel und begann, ihn möglichst kraftvoll und möglichst schnell auf und ab zu führen. Was das Ganze wesentlich erschwerte, war Kianas verbissenes Bemühen, ihre Hände dabei vollständig bedeckt zu belassen, indem sie den Pumphebel durch den Stoff der Burka hindurch umkrampft hielt. Es würde mögliche Beobachter sicherlich beeindrucken, dass Kiana alles tat, um sich nicht der Verfehlung schuldig zu machen, Männer durch das Zeigen ihrer nackten Finger zu verführen.
Dadurch konnte Kiana allerdings die nach oben gerichteten Pumpbewegungen nur halb ausführen, weil sich sonst womöglich der Saum ihrer Burka schamlos gehoben hätte. Hameed Rustami wollte schließlich eine anständige Braut für seinen Sohn.
Plötzlich hörte sie Schritte neben sich. Ein kurzer Blick zeigte ihr, dass es Amir war, der sich mit seinem Eimer hinter sie
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