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Goldfalke (German Edition)

Goldfalke (German Edition)

Titel: Goldfalke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noreen Aidan
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Ladentisch eines Verkaufsstandes für Musikinstr umente saß eine melonengroße Spinne und spielte eine eigenwillige Melodie auf einer zweisaitigen Laute. Viele der Basarbesucher trugen wie die alte Frau ihre Gebetsteppiche aufgerollt unter dem Arm, ein Mann kam sogar auf einem angeflogen.
    Angeflogen!
    Die alte Frau drehte sich zu Kiana um. „Nun komm endlich! Du kannst jetzt auch diese unsägliche Stofftüte von deinem Kopf entfernen. Hier darfst du ein Gesicht und eine Persönlichkeit haben.“
    Meinte die Alte etwa die Burka? Schützend hielt Kiana sie fest, als eine Windböe wie zur Bekräftigung der Worte den Stoff erfasste. In dieser unheimlichen Fantasiewelt, in der ihr Verstand den irrsinnigsten Eindrücken hilflos ausgeliefert war, wollte sie wenigstens nicht auf den Schutz des Schleiers verzichten.
    Die Greisin seufzte. „Na, dann komm wenigstens und halte mich nicht länger auf als nötig!“
    Zögernd folgte Kiana der Alten noch tiefer hinein ins Getümmel des „Bunten Basars“. Der Duft von gebrannten Mandeln stieg ihr in die Nase. Im Verkaufsstand nebenan schwebten mit glänzendem Guss umhüllte Mandeln über einer Feuerstelle und drehten sich von selbst in der Hitze, während der Spezereienhändler eine Handvoll Feigen für einen höchst eigenartigen Kunden abwog. Der hatte den Kopf eines Mannes und den Leib eines Riesenvogels. Auf übergroßen Hühnerbeinen stolzierte dieses Wesen an Kiana vorbei. Eine Daune löste sich aus seinem Federkleid und flog mit der nächsten Windbrise geradewegs in die Flamme einer Kerze, die in einem Glasgefäß auf einem Verkaufsstand für Honig vor sich hin flackerte.
    Zumindest nahm Kiana an, dass es sich um Honigwaren handelte, was da in Gläsern und K eramiktöpfen bersteinfarben glänzte. Nicht nur wegen der Farbe, sondern auch weil die Frau hinter dem Warentisch vom Hals bis zu den Fußknöcheln vollständig von einer riesigen Bienentraube bedeckt war. Die Bienen krochen in unübersichtlichen Schichten untereinander, übereinander, nebeneinander, und doch schienen sie die Frau in keinster Weise zu behindern. Vielmehr trug sie diese summende Last wie ein lebendes Gewand.
    „Das ist Halime, die Bienenmutter“, erklärte die Alte. „Aus ihrer Lebensgeschichte kann man viel lernen.“ Das faltige Gesicht wurde nachdenklich. „Halime war unfruchtbar und flehte im Gebet um Kinder, und seien es auch nur kleine Bienchen. Und genau das bekam sie.“
    Während sich Kiana dazu zwang, weder die Bienenmutter noch den Vogelmann rüde anzustarren, wurde sie selbst von den Leuten im Basar eindringlich gemustert. Als wäre sie die Kuriosität. Dabei war sie die Einzige hier, die anständig gekleidet war.
    Unter denen, die sie begafften, war ein großer junger Mann im kohlschwarzen Umhang. Seine silbergrauen Augen richteten sich durchdringend auf Kiana. Das war kein Blick, das war fast ein Bannstrahl, der sich durch Stoff und Fleisch hindurch bis in Kianas Gefühle hineinbrannte und nichts als Hitze hinterließ.
    Nein, Kälte.
    Nein, Hitze.
    Es war wie das Streicheln einer frostigen Fla mme. Auf eine böse Weise schön. Und daher ganz sicher ein Frevel. Im nächsten Moment war der junge Mann verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben.
    „Hier rein!“ Die alte Frau schob Kiana in ein großes Zelt, in dem sich unzählige Teppiche auf mehreren Stapeln bis in Schulterhöhe auftürmten. „Such dir einen aus, Kindchen! Jetzt kannst du mir auch den meinigen zurückgeben.“
    „Ich soll mir einen Gebetsteppich aussuchen?“ Wider Erwa rten tat Kianas Stimme ihren Dienst, wenn auch etwas keuchend. „Aber ich hab kein Geld, ihn zu bezahlen!“
    „ Das ist kein Gebetsteppich.“ Die alte Frau nahm ihr Eigentum an sich, das Kiana noch immer unter dem Arm trug. „Um mit dem Göttlichen zu sprechen, brauchst du keinen Teppich, nur ein reines Herz. Im Übrigen würde dein Geld hier sowieso nichts gelten.“ Aus den Tiefen ihres Gewandes zog sie eine dunkelgraue Vogelfeder hervor, die lang war wie ein Daumen. „Das wird genügen, denke ich.“
    Die Augen des Mannes, der hinter einem Teppichstapel hervorkam, leuchteten auf. Sein Bart teilte sich zu einem Lächeln und entblößte kräftige Zähne. Der Mann legte die rechte Hand auf seine Brust und verneigte sich. „Selbstverständlich genügt das, oh du Erlauchteste unter den Sehern!“ Ehrfürchtig nahm er die Feder an sich. „Seid herzlich willkommen und sucht euch den passenden Teppich aus! Möge er euch gute Dienste leisten und

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