Goldfasan
ordentlich vor dem einzigen Fenster hing, und machte sich daran, die Kaninchen zu füttern.
»Die Frage gilt auch Ihnen, mein Freund. Die Luft ist rein. Ich versorge nur eben meine Tiere. Dann öffne ich die Luke und Sie können herunterkommen.«
»Ja, danke«, klang es gedämpft vom Zwischenboden.
»Haben Sie Hunger?«, fragte Treppmann, während er frisches Stroh in die kleinen Verschläge legte. »Ich habe etwas Brot und Rübenkraut mitgebracht.«
»Wie ein Wolf.«
»Das dachte ich mir.«
Fünf Minuten später schob sich Heinz Rosen vorsichtig durch die schmale Öffnung des Zwischenbodens und stieg steif und ungelenk die Leiter hinunter, einen Eimer in der linken Hand.
»Ich leere ihn eben aus.« Rosen öffnete die Tür zu dem kleinen Verschlag, der als Abort diente.
Als er wieder hinaustrat, hatte Treppmann ihm bereits Wasser in eine Schüssel gefüllt und Seife und ein Handtuch bereitgelegt. »Sie möchten sich doch sicher waschen?«
Kurz darauf saßen sich die beiden Männer auf zwei schweren Holzklötzen, die üblicherweise zum Spalten von Scheiten und manchmal auch zum Köpfen von Hühnern dienten, gegenüber. Rosen hatte das Brot gebrochen und tunkte die Stücke in den Sirup, bevor er sie sich in den Mund schob. Dazu trank er mit großen Schlucken den Saft, den Treppmann ihm eingeschenkt hatte.
»Schmeckt wirklich gut.«
»Apfelsaft. Im letzten Herbst selbst gepresst. Aber langsam geht er zur Neige. Na ja, die Bäume tragen sicher auch in diesem Jahr genug. Was wichtig ist, denn bestimmt werden wir wieder gezwungen, die Hälfte unserer Ernte, wie es so schön heißt, freiwillig an den Sammelstellen abzuführen.«
Rosen vertilgte das letzte Stück Brot und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll. Sie riskieren viel für einen Mann, den Sie nicht kennen.«
»Ich weiß genug. Sie sind Kommunist. Ich nicht. Und Sie sind Jude. Das bin ich auch nicht. Aber Sie sind ein Gegner der verdammten Nazis. Wie ich. Das genügt.«
»Aber das Essen! Sie können doch selbst nicht viel haben.«
Treppmann lächelte. »Wir folgen den Anordnungen der Partei und bauen Obst und Gemüse in unserem Garten an. Von Zeit zu Zeit schlachte ich eines meiner Tiere. Somit haben wir ab und zu sogar etwas Fleisch.«
»Schwarzschlachtungen sind verboten«, warf Rosen ein.
»Das Verstecken von Volksfeinden auch«, erwiderte Treppmann und seine Augen blitzten. »Und schlachten tut hier in der Siedlung fast jeder. Deshalb verrät auch keiner den anderen. Außerdem sind wir privilegiert.«
»Inwiefern?«
»Mein Schwiegersohn: Würden Sie es riskieren, einen SS-Offizier, der beim Reichssicherheitshauptamt tätig ist, wegen des Schlachtens eines Karnickels anzuzeigen?«, gluckste Treppmann belustigt.
Rosen verschluckte sich fast am Apfelsaft. »Ihr Schwiegersohn ist bei der Gestapo?«, fragte er fassungslos.
»Das hört er nicht gerne. Er ist eigentlich Kriminalpolizist und behauptet, keine Wahl gehabt zu haben, als er in die SS eingetreten ist. Und für die Gründung des Reichssicherheitshauptamts kann man ihn tatsächlich nicht verantwortlich machen.«
»Aber …« Rosen schüttelte den Kopf. Er sah aus, als hätte er ein Gespenst gesehen.
»Sie meinen, wenn er Sie hier entdeckt?«
Rosen nickte.
»Das würde zwar einige Probleme in unserer Familie aufwerfen, aber ich glaube, Peter würde Sie nicht der Gestapo ausliefern. Er ist kein schlechter Kerl. Und er ist kein Nazi, deshalb …«
»Er ist in der SS!«, empörte sich Rosen.
»Stimmt. Weil er glaubte, nur so Karriere machen zu können. Aber denken Sie nach. Wenn er Sie ausliefert, muss er mich gleich mit ans Messer liefern. Und das Mindeste, was ihm selbst passieren würde, ist die Entfernung aus dem Polizeidienst. Das ist für ihn unvorstellbar. Er ist mit Leib und Seele Polizist. Machen Sie sich keine Sorgen. Außerdem: Haben Sie eine Alternative? Was meinen Sie, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie geschnappt werden, wenn Sie dieses Versteck verlassen, ohne ein neues zu haben?«
Rosen schwieg.
»Trinken Sie den Saft ruhig aus. Und dann, wenn Sie wollen, erzählen Sie mir etwas über sich.« Treppmann schob den Holzklotz etwas zurück und lehnte sich an die Wand.
Und Heinz Rosen begann zu sprechen.
16
Samstag, 3. April 1943
W illst du einen Kaffee? Ich habe extra welchen gekocht.« Lisbeth Golsten stand in der Küche neben dem Herd, die Kanne in der Hand.
Die Küche war einfach, aber zweckmäßig
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