Goldmond
scharf. »Wir gestatten Mord in unserem Reich nicht. Geht!«
»Nein«, widersprach Telarion. »Ich kam, um mit dem Ältesten Eures Ordens zu sprechen und seinen Rat zu erbitten. Ich werde nicht gehen, ehe ich das getan habe.«
»Wer glaubst du, dass du bist?«, erwiderte der Shisan erbost. »Du bringst den Tod und bist geübt im Waffenhandwerk, das straft deine Haartracht Lügen. Wesen wie du haben in unserem Heiligtum nichts verloren!«
Die Worte trafen Telarion. Er senkte den Blick.
Er hat recht , schoss es ihm durch den Kopf. Ich bin Heiler . Wieder wünschte er sich glühend, er hätte seinem Bruder an jenem schicksalhaften Tag nicht nachgegeben und ihm versprochen, als sein Truchsess zu dienen. Wie so oft in den letzten Zehntagen erwachte in ihm der mühsam unterdrückte Zorn auf den Zwilling, der ihn um das Leben im Palast der Stürme betrogen hatte und auch um den Frieden in seiner Seele.
Dann hob er den Kopf. »Wir befinden uns auf eurem Land. Folglich hast du ein Recht zu erfahren, wer ich bin. Ich bin Fürst Telarion Norandar, der jüngere Sohn des Dajaram von Norad. Mein Gefährte ist Gomaran von Malebe, der Großsohn des Dumi von Malebe. Und das da …«, er wies mit der Hand auf Iretis Soldaten, »… ist einer aus der Gefolgschaft der Ireti Landarias, die sich Königin nennt und behauptet, ich sei ein Verräter am Volk des Goldmonds!«
Der Shisan betrachtete ihn mit Interesse. »Und du sagst, du bist es nicht.« Es war eine Feststellung, kein Anerkenntnis.
»So ist es«, erwiderte Telarion grimmig.
»Er ist ein Mörder!«, rief der Soldat. »Ein Königsmörder!«
Der Mönch sah erst Telarion, dann den Streiter der Königin an. »Selbst wenn ich eure Geschichte kennen würde, könntet ihr kaum erwarten, dass ich diesen Streit für euch entscheide. Also verlasst unser Gebiet!«
Telarion schüttelte energisch den Kopf. »Ich habe Euch um keine Entscheidung gebeten«, sagte er kühl. »Ich bin gekommen, den Abt Eures Heiligtums aufzusuchen, und ich habe eine lange Reise hinter mir. Sagt mir nicht, dass euer Haus Fremden die Weisheit verweigert, wenn sie darum bitten. Ich weiß, dass dem nicht so ist.«
»Diese Weisheit geben wir nur an Wesen weiter, die anerkennen, dass keiner der Zwillingsmonde die Vorherrschaft hat. Doch du bist ein Heiler, ein Fürst, schenkt man deinen Worten Glauben. Ich sehe an dir kein Zeichen, dass du Dunkelmagie achtest – im Gegenteil. Diesem hier hast du sie soeben genommen, ebenso beleidigst du eine Landarias – das einzige Volk der Elben, das seine Gaben mit den Menschen teilte!«
Telarion starrte den Mann wütend an. Er war es als Königsbruder und Truchsess des Reichs der Elben nicht gewohnt, dass man in Zweifel zog, was er sagte. Zudem – eine Landarias wurde hier höher geschätzt als ein Norandar?
Wieder musste er sich er sich an den Zweck und das Ziel seiner Reise erinnern, daran, auf wessen Land er hier stand.
Er musste den Tempel der Weisen erreichen.
»Was, wenn ich Euch beweise, dass ich einen Grund habe, Euren Ältesten aufzusuchen?«
»Du willst es beweisen?«, wollte der Mönch wissen. »Wie?«
Statt einer Antwort packte Telarion das dunkle Hemd, das er trug, dort, wo der Soldat Iretis es über der Brust aufgeschlagen hatte. Das Blut der Wunde trocknete langsam und hielt an einigen Stellen den zerfransten Stoff fest. Doch mit einem festen Ruck riss Telarion sich den Stoff vom Körper, um das eintätowierte Zeichen seines Hauses freizulegen.
Die Shisans raunten.
Doch ihre Reaktion war dem Fürsten in diesem Augenblick gleichgültig. Unwillkürlich warf er seinem Milchbruder einen verstohlenen Blick zu. Wie erwartet starrte dieser auf das Zeichen der adligen Abstammung seines Gefährten.
Telarion hatte dieses Wappen auf der Flucht vor dem Gefährten verborgen, denn es sah nicht mehr so aus, wie damals, als er es kurz nach seiner Geburt erhalten hatte und wie der Milchbruder es kannte: ein lichtgrüner Baum aus stilisierten Wolken, dessen Form einem Yondarbaum glich. Die Zweige dieses Baums, bisher gerundet wie Wirbel aus Dunst, der einem morgendlichenTal entstieg, liefen nun in spitzen, lohgelben Flammen aus, die silbrige Funken sprühten.
Der ehemalige Heermeister spürte, wie Röte in seine Wangen stieg, als er die entsetzte Miene Gomarans sah. Der Schrecken und der Widerwille im Blick des Gefährten war kaum zu ertragen, als klar und deutlich zutage trat, dass die Magie des Königsbruders so eindeutig mit den dunklen Kräften des Hauses
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