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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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wollten, hätte er den braunen angezogen, der war frisch gereinigt. Wenigstens waren seine Fingernägel sauber.
    Renate Greulich hämmerte weiter auf ihre Schreibmaschine ein, als säße sie allein im Raum.
    »Doktor Weiß ist noch im Gespräch. Nehmen Sie doch bitte einen Moment Platz.« Das war alles, was die Sekretärin bislang gesagt hatte, und Rath hatte Platz genommen. Und gewartet.
    Er fühlte sich wie im Wartezimmer eines Arztes. Eines Arztes, der irgendeine unerfreuliche Diagnose stellen wird, und man weiß nicht genau welche, nur dass sie unerfreulich sein wird. Wenn die Bosse ihn zu sich bestellten, gab es meistens Ärger. Auch wenn Rath sich beim besten Willen nicht daran erinnern konnte, in den letzten Wochen gegen irgendwelche Dienstvorschriften verstoßen zu haben, seit einer Woche war er überhaupt erst wieder im Dienst nach zwei Wochen Sommerurlaub, ein paar Tage Köln, eine Woche Ostsee mit Charly. Beides hätte er sich besser erspart. Hätten sie sich besser erspart.
    Das Telefon klingelte, und Renate Greulich hob ab. »Jawohl, Herr Doktor«, sagte sie und griff zielsicher nach einem Aktenordner auf ihrem Schreibtisch. Ohne ein weiteres Wort verschwand sie damit durch die gepolsterte Tür nach hinten.
    Rath blickte der Sekretärin hinterher und schnappte sich eine Zeitung vom Beistelltisch, jetzt fühlte er sich endgültig wie beieinem Arztbesuch. Er blätterte lustlos durch die große Politik, Reparationsstreit, Sparmaßnahmen, bis er an einer Schlagzeile im Lokalteil hängen blieb.
    Nächtliche Verbrecherjagd im KaDeWe. Jugendlicher Einbrecher stürzt in den Tod.
    Der Fall, den Gennat heute Morgen im Konferenzraum angesprochen hatte, zwei Juwelendiebe, am Wochenende auf frischer Tat im Kaufhaus des Westens ertappt, einer hatte sich als Fassadenkletterer versucht und seinen Leichtsinn mit dem Leben bezahlt, ein junger Bursche, höchstens sechzehn, siebzehn Jahre alt, sie hatten ihn noch nicht identifiziert. Der Komplize war mit einem Teil der Beute entkommen.
    So wie sich der Artikel las, konnte man beinah meinen, die Polizei habe den Jungen zu Tode gehetzt. Dass es nicht gerade den Gesetzen entsprach, sich in einem Kaufhaus einschließen zu lassen, um dort die Schmuckvitrinen auszuräumen, darüber verlor die Zeitung keine Silbe.
    Die Tür zum Allerheiligsten öffnete sich wieder, doch nicht die Greulich kam heraus, sondern ein Schupo, ein Polizist wie aus dem Bilderbuch, den Tschako unter den Arm geklemmt, die blaue Uniform frisch gebügelt und tadellos sauber, ohne jeden Fussel. Der Mann wusste offenbar, wie man dem Polizeivizepräsidenten gegenüberzutreten hatte. Rath legte die Zeitung über den Fettfleck auf seinem Anzug. Der Schupo grüßte mit einem Kopfnicken.
    »Wie ist denn die Stimmung da drinnen?«, fragte Rath.
    »Geht so.« Der Schupo zeigte auf die Zeitung. »Haben Sie die Kritiken vom Wochenende schon gelesen?«
    »Bin gerade dabei.«
    »Dann können Sie sich die Laune von Doktor Weiß ja in etwa vorstellen.« Der Schupo hob die Schultern, als sei er eine Erklärung schuldig. »Ich habe diesen unglückseligen Einsatz im KaDeWe­ vorgestern Abend geleitet«, sagte er.
    »Übel«, entfuhr es Rath.
    »Übel ist gar kein Ausdruck. Das ist ein Albtraum.«
    »Glauben Sie mir, ich weiß, wie Sie sich fühlen. Ich kann Ihnen nur raten, nehmen Sie sich die Sache nicht zu sehr zu Herzen; es ist nicht Ihre Schuld, solche Dinge passieren im Polizeialltag.«
    »Klingt schön, wie Sie das so sagen. Aber zur Mordkommission muss ich trotzdem.« Der Schupo setzte seinen Tschako auf. »Weswegen hat man Sie denn herzitiert?«
    »Wenn ich das nur wüsste«, sagte Rath.
    Der Blaue tippte zum Abschied kurz an den Schirm. »Wird so schlimm schon nicht werden«, sagte er und verschwand auf dem Gang.
    Kurz darauf erschien Renate Greulich wieder auf der Bildfläche und bat Rath hinein. Der Vizepolizeipräsident saß hinter seinem Schreibtisch und notierte etwas in eine Kladde. Seiner Miene war nicht anzusehen, um was es ging.
    »Herr Kommissar, nehmen Sie doch bitte Platz«, sagte er, ohne aufzublicken.
    Rath setzte sich und schaute aus dem Fenster, während Weiß in aller Seelenruhe seine Notizen beendete. Draußen leuchtete der Baukran des Alexanderhauses in der Sonne und ließ ein ganzes Bündel Moniereisen wie schwerelos durch die Luft schweben. Endlich klappte Weiß seine Kladde zu und schaute Rath durch dicke Brillengläser an. Wie ein Oberstudienrat den Prüfling anschaut, bevor er die erste Frage

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