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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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stellt, dachte Rath.
    »Herr Kommissar, Sie haben doch einen Bruder in den Vereinigten Staaten, nicht wahr?«
    Rath hatte mit allem Möglichen gerechnet, aber nicht mit dieser Frage. »Wie bitte, Herr Vizepräsident?«
    »Wenn ich richtig informiert bin, lebt Ihr Bruder Severin Rath in Amerika ...«
    »Das stimmt, aber ...«
    »... und Sie haben ihn dort auch schon einmal besucht ...«
    Woher hatte Weiß diese Information? Kein Mensch wusste von dieser Reise, nicht einmal Engelbert Rath, sein Vater, der Kriminaldirektor, dem man sonst wenig verheimlichen konnte. Drei Monate lang hatte Gereon sich im Frühjahr 1923 in den USA aufgehalten und seinen Bruder gesucht, seine Eltern hatten ihn auf einem Auslandssemester in Prag geglaubt – dank der Briefe, die Paul von dort verschickt hatte. »Sie sind erstaunlich gut informiert«, sagte Rath, als er Fassung und Sprache wiedergewonnen hatte.
    »Das gehört zu meinen Aufgaben«, erwiderte Weiß, und es klangüberhaupt nicht ironisch. »Herr Kommissar, haben Sie schon einmal etwas vom Bureau of Investigation gehört?«
    »Die amerikanische Bundespolizei ...«
    Weiß schien mit Raths Antwort zufrieden zu sein. Er nickte kaum merklich und schlug eine dünne Aktenmappe auf. »Ich habe einen Auftrag für Sie, Herr Kommissar«, sagte er schließlich. »Einen Sonderauftrag, bei dem eine gewisse Kenntnis US-amerikanischer Gepflogenheiten durchaus von Vorteil sein kann. Wie gut ist Ihr Englisch?«
    Rath zuckte die Achseln. »Ganz ordentlich, denke ich. Die Amis haben mich jedenfalls verstanden und ich sie.«
    Worauf, zum Teufel, wollte der Vipoprä hinaus?
    Weiß schob die Mappe über den Tisch. »Das hier kam vor wenigen Tagen über den Ticker«, sagte er. Rath überflog die erste Seite. Abraham Goldstein, place of birth: Brooklyn, NY . Ein Steckbrief. »Die amerikanischen Kollegen haben uns das gekabelt«, fuhr Weiß fort, »weil sie uns vor diesem Mann warnen wollen. Das Bureau hält ihn für das Mitglied eines New Yorker Gangstersyndikats.«
    »Schön. Und was geht uns das an?«
    Weiß zog die Augenbrauen hoch, bevor er antwortete. »Abraham Goldstein, Spitzname Handsome Abe , ist auf dem Weg nach Berlin. Gestern Abend ist er in Bremerhaven durch den Zoll.«
    »Wenn das so ein schlimmer Junge ist, warum lassen die Amis ihn dann einfach ausreisen?«
    »Weil es da keinerlei Handhabe gibt, der Mann hat eine weiße Weste. In seiner Jugend wurde Goldstein ein paarmal aktenkundig, Diebstahl, Sachbeschädigung, Körperverletzung, seitdem nichts mehr, nicht einmal Falschparken. Mehrere ungeklärte Todesfälle im Gangstermilieu sollen auf Goldsteins Rechnung gehen; die Kollegen halten ihn für einen Mörder, der im Auftrag italienischer und jüdischer Gangstersyndikate tötet. Und so gut arbeitet, dass er keinerlei verwertbare Spuren hinterlässt. Unbestritten ist nur, dass er Kontakte zu Größen der Unterwelt hat. Aber so etwas ist nicht strafbar.«
    »Goldstein ist Jude?«
    »So ist es.« Weiß verzog keine Miene. Als spiele diese Tatsache keine Rolle. Aber natürlich tat sie das. Ein jüdischer Gangster in Berlin, allein diese Nachricht wäre Wasser auf die Mühlen derAntisemiten. Schon die Berichte über die Betrügereien der Sklarek-Brüder waren in vielen Blättern deutlich von antisemitischen Untertönen geprägt. Rath verstand plötzlich, warum Weiß das Ganze zur Chefsache gemacht hatte.
    »Was hat Goldstein denn vor in Berlin?«, fragte er. »Irgendwelche Anhaltspunkte?«
    »Nüscht.« Weiß schüttelte den Kopf. »Wir haben nicht den blassesten Schimmer. Sicher ist nur, dass er kommt.« Der Vize hob die Schultern, es sah fast aus, als entschuldige er sich. »Goldstein hat ein Touristenvisum. Vielleicht besucht er wirklich nur den Wintergarten oder den Sportpalast oder stürzt sich ins Nachtleben wie die anderen Touristen, die herkommen, weil es bei uns so schön billig ist. Alles möglich.«
    »Auch dass er einen Auftrag in Berlin erledigt? Jemanden ausschaltet, der den New Yorkern Probleme macht?«
    Weiß machte ein skeptisches Gesicht und hob die Schultern. »Es gibt nur lockere Verbindungen zwischen hiesigen Verbrecherkreisen und amerikanischen Gangstersyndikaten. Meist Drogen- oder Alkoholschmuggel. Dass ein amerikanischer Gangsterkrieg bis Europa reicht, glaube ich nicht.«
    »Bei uns herrscht ja nun auch nicht gerade Frieden, wenn man an die letzten Wochen denkt«, meinte Rath. »Vielleicht hat einer von unseren schweren Jungs Goldstein kommen lassen. Weil er einen

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