Goldstein
Regen und schickte ein Stoßgebet los. Lieber Gott, wenn du da irgendwo sein solltest und mich hörst, lass mich hier rauskommen, ganz gleich wie, lass mich nur hier rauskommen, und ich zahle jeden Preis, ich geh sogar in die Kirche. Sie schloss die Augen, um ihrem Gebet Nachdruck zu verleihen, und lauschte auf das Prasseln des Regens. Irgendetwas an diesem Geräusch ließ sie stutzen und das Fenster öffnen. Der Regen machte einen ungeheuren Lärm, und zwischendurch klang es, als würde jemand mit einem Hammer auf einen kleinen Amboss schlagen, immer und immer wieder. Alex steckte ihren Kopf durch das geöffnete Fenster und glaubte zu träumen. In diesem Moment war sie fest davon überzeugt, dass sie das allein ihrem Gebet zu verdanken hatte.
Eine Feuertreppe!
Eiserne Stufen führten nach unten in den Hof, Etage für Etage. Alex packte ihre Taschenlampe ein und schulterte die Tasche. Dann trat sie auf den Gitterrost und schaute vorsichtig nach unten. Eine ganze Armada von Last- und Lieferwagen parkte da unten fein säuberlich in Reih und Glied, ansonsten war der Hof leer, weit und breit keine blaue Uniform. Die Feuerleiter hatten die Bullen nicht auf der Rechnung, wie es aussah, die hatten sie schlicht und einfach übersehen.
Alex umfasste den nasskalten Handlauf und begann, die wacklige Stahltreppe hinabzusteigen, langsam, Schritt für Schritt, dabei immer den Hof und die Fenster im Blick. Der Wind wehte ihr den Regen ins Gesicht, das Stahlgerüst wackelte und quietschte unter ihren Schritten, doch Meter für Meter kam sie dem Boden näher. Es war kein starker Regen, dennoch war sie im Nu pitschnass, der Verband durchgeweicht, und ihre Tasche wurde von Minute zu Minute schwerer.
Dann endlich stand sie unten. Sie hatte es tatsächlich geschafft. Wenn sie doch Benny von der Feuertreppe erzählen könnte! Hoffentlich hatte er genauso viel Glück wie sie. Im Schutz der Lieferwagen, die hier akkurat Seite an Seite parkten, arbeitete siesich langsam zur Einfahrt vor, die auf die Passauer Straße führte. Das Tor war verschlossen, damit hatte sie gerechnet. Alex packte die Sperrhaken aus, sie zitterte ein wenig und brauchte etwas länger als sonst, aber auch das Schloss in dem großen Eisentor war nicht besonders schwierig zu knacken.
Das Tor quietschte, als sie es bewegte. Sie öffnete es vorsichtig und nur einen schmalen Spalt, gerade groß genug, dass sie hindurchschlüpfen konnte.
Und dann stand sie draußen! Auf der Straße, in Freiheit! Noch nie hatte sie den Verkehrslärm auf dem Tauentzien so gern gehört, sie atmete die Luft, als wäre es eine andere als die da drinnen, als könne sie jetzt überhaupt erst wieder richtig atmen nach einem viel zu langen Tauchgang. Der Regen hatte aufgehört. Auf der Passauer Straße war nicht viel los, ein paar eilige Fußgänger, die gerade ihre Schirme zuklappten, zwei, drei Autos, die durch die Pfützen spritzten, niemand, der ihr Beachtung schenkte. Sie legte den Kopf in den Nacken und warf einen Blick auf die Kaufhausfassade, die hier an der Passauer Straße von der großen Leuchtreklame gekrönt wurde. Festlich, beinahe weihnachtlich wirkte es, das nächtliche, leuchtende Kaufhaus. Alex musste an Benny denken, der irgendwo in diesem riesigen Kasten nach einem Ausweg suchte, und im selben Moment sah sie ihn auch, oben auf dem Stahlgeländer der Galerie herumturnen. Was zum Teufel machte er da? Schien sich jedenfalls nicht weit von seinem Versteck wegbewegt zu haben, in dem sie ihn vor ein paar Minuten entdeckt hatte.
Er stieg vollends hinüber und stand nun auf dem Sims der Galerie, der höchstens einen Fuß breit sein mochte, und hielt sich mit beiden Händen außen am Geländer fest. Alex stockte der Atem. Er wollte doch wohl nicht klettern mit der schweren Tasche auf dem Rücken? Aber es sah ganz danach aus. Blitzschnell ging Benny in die Hocke, stützte sich mit beiden Händen auf den Sims und ließ seinen Körper langsam nach unten, bis er da hing, mit baumelnden Beinen, ein schwarzer Schatten, direkt vor einem der erleuchteten schmalen Fenster. Seine Füße waren doch viel zu weit entfernt vom nächsten Fenstersims, da kam er niemals runter, was hatte er vor? Alex hörte einen kurzen Schreckensseufzer und drehte sich um. Da stand ein dünner Mann mit Nickelbrille und steifem Hut und hatte seinen Kopf in den Nacken gelegt.
Oben über dem Geländer erschien jetzt die Silhouette eines Schupos, der Stern auf dem Tschako blitzte kurz auf im Licht. Jetzt wusste Alex,
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